Schön wie der Mond

Agassi hat keine Chance gegen Federer und verabschiedet sich bei den Australian Open – bis zum nächsten Jahr

MELBOURNE taz ■ Es war nur ein Satz, aber darin lag die Quintessenz aller Erkenntnisse. Beim Versuch, die Fähigkeiten der Großen der Vergangenheit mit denen Roger Federers von heute zu vergleichen, kapitulierte Andre Agassi und beließ es bei der fast sentimental klingenden Beschreibung: „Er spielt einfach wunderschön.“

Das ist nicht neu, aber gewisse Dinge kann man nicht oft genug wiederholen. In der Dämmerung eines brütend heißen Tages gewann Federer das mit Spannung erwartete Viertelfinale der Australian Open gegen Agassi 6:3, 6:4, 6:3, und wieder ließ er danach staunende Menschen zurück. Ein Spiel so rund und harmonisch wie die Form des Mondes, der am Ende als leuchtende Kugel am dunklen Himmel erschien.

Keiner hat in den letzten fünf Jahren so viele Spiele und Titel in der Rod Laver Arena gewonnen wie Andre Agassi, und keiner außer den Australiern hat im Publikum so viele Fans wie er. Als Federer den Ball zum ersten Aufschlag in die Luft warf, wurde die Stille der Spannung nur vom Zwitschern eines Vogels gestört. Die Frage aller Fragen in diesem Moment: Hat es Agassi noch in der Hand, die Nummer eins des Tennis zu besiegen? War die Niederlage in fünf Sätzen vor knapp fünf Monaten bei den US Open in New York ein Zeichen dafür, dass da noch was möglich ist? Die Antwort stand nach genau 99 Minuten fest, und sie war unmissverständlich: Wenn Federer so spielt wie an diesem Tag, liegt es nicht mehr in seiner Hand.

Die Weichen wurden in der spannendsten Phase des Spiels gestellt. Ende des ersten Satzes führte Federer 5:3, Agassi hatte mit drei Breakbällen die Chance, den Express auf der anderen Seite aufzuhalten, doch zwei dieser Breakbälle wehrte Federer auf eine Art ab wie weiland Pete Sampras: mit den Assen Nummer neun und zehn. Er selbst nutzte wenig später den vierten Satzball mit einer makellosen Rückhand die Linie entlang. Was das bedeutete, war den 16.000 in der Arena ebenso klar wie Agassi selbst: „Wenn du einem wie ihm so eine Führung gibst, dehnt er sie viel zu schnell aus.“

Genauso war es. Vom Ende des ersten Satzes bis zum Ende des Spiels hatte Federer die Ereignisse fest im Griff, getragen von seinem überaus effektiven Aufschlag mit insgesamt 22 Assen, verziert mit der gewohnten Spielkultur. Die Spannung im Publikum wich bald der Erkenntnis, dass es für Agassi nichts mehr zu gewinnen gab, und so dachte manch einer darüber nach, ob man den Mann aus Las Vegas im nächsten Jahr an dieser Stelle wiedersehen wird. Er selbst meinte dazu später, das habe er schon vor, aber ein Jahr sei eine lange Zeit. Auf dem Platz verabschiedete er sich diesmal nicht mit den gewohnten Verbeugungen in alle vier Richtungen, sondern mit einer flüchtigen Kusshand, mit einem flüchtigen Winken.

Fünfmal in Folge hat er nun gegen Federer verloren, und es scheint so, als habe er dessen Überlegenheit akzeptiert. Sieht er für die anderen eine Chance? Und welchen Rat würde er den nächsten Gegnern des Titelverteidigers geben? „Ich würde ihnen raten, nicht ausgerechnet mich um Rat zu fragen.“ Aber wer soll wissen, wie man Federers Spiel knackt, nach nunmehr 26 Siegen in Serie seit August 2004?

Der nächste Versuch gebührt Marat Safin. Der Russe zeigte starke Form beim Sieg in drei schnellen Sätzen gegen den Slowaken Dominik Hrbaty in einem Spiel, das wegen der Hitze von mehr als 35 Grad im Schatten unter dem geschlossenen Dach der Arena stattfand. Federer gegen Safin – so hieß vor einem Jahr das Finale in Melbourne, damals gewann der Schweizer klar. Was Marat Safin dazu sagt? „Irgendwie kommt doch im Moment keiner an Roger heran. Es ist fast so, als ob er mit uns allen spielt.“ Ja, genauso ist es. DORIS HENKEL