StudentInnen an die Gebührenhebel

Wenn Studierende selbst die Studiengebühren erheben, ist das kein kleineres Übel des ordinären Bezahlstudiums, sondern etwas ganz anderes: Es wäre ein wichtiger Impuls für die inner- wie die außeruniversitäre Demokratie. Und die Wiederaufnahme einer uralten Frage: Was wollen wir an der Uni?

VON CHRISTIAN FÜLLER

„Wenn in einigen Staaten der letzteren [Schweiz, USA, d. Red.] auch ‚höhere‘ Unterrichtsanstalten ‚unentgeltlich‘ sind, so heißt das faktisch nur, den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel bestreiten.“

Karl Marx, 1875

Es gibt zwei Missverständnisse bei den Studierenden. Sie glauben, dass Studiengebühren das Recht auf Bildung verletzten. Sie meinen weiter, dass Geld sie korrumpieren würde – und sie, die auf dem idealistischen Bildungspfad Befindlichen, sich also erst nach dem Studium auf die Fährnisse des Pekuniären einlassen dürften.

Aus Missverständnissen wurden Irrtümer wurden Denkblockaden wurde die politische Bedeutungslosigkeit im Jahre 2005. Heute entscheidet das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe darüber, ob der Bund Studiengebühren per Gesetz verbieten darf. Die Letzten, deren Meinung dazu von Belang wäre, sind die Studierenden. In diese Position haben sie sich mit ihrer Njet-Haltung gebracht. Studium umsonst und unendlich, so lässt sich die Gromyko-Haltung der Studis zu Gebühren zusammenfassen.

Karl Marx hätte sich wahrscheinlich lustig darüber gemacht. Man weiß es nicht. In seinen Randglossen zum Gothaer Programm der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands von 1875 freilich äußert er sich eindeutig. Wer Studiengebühren nicht erhebt, meinte Marx damals, der bürde den unteren Klassen die Bildungsausgaben für die Karrieren der oberen Klassen auf. Marx fand ungerecht, was die SPD-Vorläufer als Grundlagen des Staates forderten: „Unentgeltlicher Unterricht in allen Bildungsanstalten.“

Marx’ Diktum gilt heute wieder – auch wenn es über 100 Jahre alt ist. Zwar haben sich die sozialen Verhältnisse, die Karrierewege seit 1875 geändert, keine Frage. Aber die soziale Zusammensetzung der Hochschulen ist merkwürdig. Ganze 12 Prozent gelten dort heute als Arbeiterkinder. Das Gros an den Unis stellen Töchter und Söhne aus besseren Häusern. Die Kinder aus bildungsfernen Schichten werden sorgsam von den Hochschulen ferngehalten – nicht durch Unigebühren, sondern durch die selektiven Wirkungen des Schulsystems. Die OECD predigt seit Jahren, dass die deutsche Schule antiquiert ist, weil sie viel zu viele ihrer Talente in der vierten Klasse aus den Hochschulen herausprüft – im Vorgriff sozusagen. In Deutschland liegt die Akademikerrate bei 35 Prozent, andere Industrieländer sind bei 70 Prozent angelangt.

Wer soziale Gerechtigkeit im Bildungssystem herstellen will, müsste also zweierlei tun: Studiengebühren einführen – und die Schule radikal umbauen zu einer Schule für alle. Letzteres ist nicht sehr wahrscheinlich angesichts der starren Haltung der Kultusminister, immerhin machen sich einzelne Bundesländer (Schleswig-Holstein) manche Parteien (Grüne, PDS, vereinzelte SPDler) und die Wirtschaft auf den Weg (siehe Text unten).

Auch die Studierenden könnten in diesem Reformprozess eine Rolle spielen – wenn sie ihre fundamentalistische Haltung gegen Gebühren ablegen würden. Es gibt eine Variante von Gebühren, die den Studierenden neue politische Spielräume eröffnen könnte. Sie existiert an der Uni Witten/Herdecke, auch die taz hat sie sich zu Eigen gemacht. Das Modell heißt: Studiengebühren jetzt – wenn die Studierenden alle Macht über sie bekommen. Das Modell hat zwei Vorteile: Das Geld bleibt in der Uni. Und die Studierenden haben maximalen Einfluss auf die Gebühren. Denn sie nehmen sie autonom ein und verwalten sie auch selbst. Das bedeutet: Gebühren in studentischer Regie wären verträglich auch für die verbliebenen Arbeiterkinder.

Der wichtigste Einwand der Studierenden dagegen heißt: Warum selbst ein Gebührenmodell vorschlagen, das nur das kleinere Übel zur ordinären Studiengebühr ist? Wer genau hinsieht, wird erkennen: Das taz-Modell ist nicht das kleinere Übel, sondern etwas ganz anderes. Es enthält einem enormen Impuls für die darniederliegende studentische Selbstverwaltung.

Wenn das Verfassungsgericht heute Studiengebühren frei gibt, könnte die Studierendenschaften schon morgen eine Debatte in der Universität führen, die sie lange nicht mehr geführt haben: Was wollen wir hier? Die Studierenden müssten darüber diskutieren, wer von der Gebühr befreit wird. Und es wäre zu erörtern, in welche Projekte an der Uni das Geld fließen soll: didaktische Nachhilfe für Professor Doof etwa, Einrichtung studentischer Projektseminare, Zuschüsse in den Lehrbeauftragtentopf der Uni – was immer den Studis da einfiele, es wäre der Wiederbeginn des demokratischen Diskurses über studentisches Lehren und Forschen. Gewiss wäre das vielversprechender als die Vollversammlungen, die es heute an den Unis gibt: ein Zusammenströmen, um Nein zu sagen.

Und wie will man verhindern, dass die Finanzminister den Gegenwert der Gebühren aus den Uni-Budgets herausziehen? Das kann man, prinzipiell, nie. Denn das Parlament ist der Haushaltsgesetzgeber. Aber auch hier könnte ein demokratischer Impuls helfen. Was hindert die Studis eigentlich, die Honoratioren und Verbände in den Universitätsstädten mal beim Wort zu nehmen? Und sie in außerparlamentarischen Versammlungen das besiegeln zu lassen, was sie jeden Sonntag von den Kanzeln predigen: dass Studiengebühren nur dann Sinn machen, wenn sie uneingeschränkt den Hochschuletats zugute kommen?