BETTINA GAUS über FERNSEHEN
: Die Verfehlungen des Verstorbenen

Angeblich hat der Tod in unserer Mediengesellschaft keinen Platz mehr. Aber es ist schlimmer: Er ist ihr letzter Schrei

Schon Tage vor der Beerdigung hatte festgestanden, dass ausnahmsweise auch der Hund des Verstorbenen an der Beisetzung teilnehmen durfte. Er wolle „die beiden nicht auseinander reißen, Rudolph Moshammer und seine Daisy“, so Herbert Huber, Leiter der Friedhofsverwaltung. Eigentlich hätte nach dieser Ankündigung ein Schrei des Entsetzens durch die Reihen deutscher Tierfreunde gehen müssen – die Absichtserklärung lässt sich kaum anders deuten denn als Ankündigung eines grausamen Hundeschicksals.

Aber aus Herrn Huber sprach offenbar nicht die Logik, sondern sein Herz. Und er wurde schon ganz richtig verstanden. Nämlich so, dass er halt fand, es wäre irgendwie furchtbar traurig, wenn Daisy nicht dabei sein könnte. Und es ist ja ohnehin alles traurig genug.

Das Bedürfnis nach öffentlicher Trauer und ihrer Zurschaustellung scheint unstillbar groß zu sein. Kein Detail ist unwichtig genug, um unerwähnt zu bleiben, keine Idee zu skurril, um nicht in irgendeiner Fernsehsendung als ernsthafter Vorschlag präsentiert zu werden. Einen gläsernen Sarg für Mosi empfiehlt ein Fan des Toten auf Pro 7.

Ja, warum denn eigentlich nicht? Unter anderem deshalb, weil Moshammer, wie die Zuschauer von RTL erfahren, durch die Obduktion entstellt worden sei. Sie erfahren außerdem, dass man den Leichnam dennoch einbalsamiert hat und was dem Körper dafür injiziert worden ist.

Ein Steinmetz teilt mit, der Sarg sei größer als die ursprünglich dafür vorgesehene Nische im Mausoleum und nun müsse am Grabmal noch gearbeitet werden: „Herr Moshammer kommt halt in die Mitte der Gruft.“ Gut zu wissen. Man hat in den letzten Tagen viele Informationen bekommen, die im Regelfall allenfalls für die engsten Angehörigen bestimmt sind. Und einige Informationen, die gerade diese Angehörigen meistens keinesfalls hören wollen.

Im letzten Jahr haben Witwe und Tochter eines prominenten Journalisten am Tag nach dessen Beisetzung sein Grab besucht. Nach wenigen Minuten traten zwei Damen in Anoraks aus Fallschirmseide neben sie, etwa 60 Jahre alt.

Sie inspizierten die Kränze auf dem frischen Grab, lasen sich gegenseitig die Grußworte auf den Schleifen vor und überlegten, wer da wohl beerdigt sein könne. Die Tochter konnte in dieser Frage weiterhelfen: „Mein Vater,“ sagte sie und bat, einen Augenblick in Ruhe am Grab verweilen zu dürfen.

Die Damen waren erkennbar empört. Sie sprachen es nicht aus, aber in ihren Mienen war deutlich zu lesen, was sie dachten: dass dieser Friedhof doch schließlich ein öffentlicher Ort sei und dass sie dasselbe Recht hätten wie alle möglichen anderen Leute, genau da zu stehen, wo sie das wünschten. Jawoll. Aber immerhin: Sie sprachen es nicht aus. Sondern gingen. Sie sahen unglaublich beleidigt aus. Sogar von hinten.

Nach kaum zwei Minuten näherte sich ein alter Mann und stellte sich unmittelbar neben die beiden Trauernden. Die neuerliche Bitte der Tochter um einen privaten Moment des Gedenkens wurde auf erstaunliche Weise beantwortet: Er sei Genossenschaftler ihres Arbeitgebers. Das änderte natürlich die Lage. Dennoch erwies sich der alte Mann als rücksichtsvoll und entfernte sich vom Grab. Das war gut so, denn damit wurde Platz geschaffen für die vier jungen Männer, alle ungefähr Mitte 20, die nun ihren Auftritt hatten.

Sie wussten genau, wer da beerdigt worden war, und begannen eine lebhafte, kontroverse Erörterung der Verdienste und Versäumnisse des Toten. Die Angehörigen drängten sie im Eifer des Gefechts ein wenig zur Seite. Das wäre aber gar nicht nötig gewesen, denn die hatten sich ohnehin entschlossen, den Friedhof zu verlassen.

Es ist viel darüber geschrieben worden, dass der Tod in der modernen Gesellschaft keinen Platz mehr hat. Das ist nicht wahr, denn es ist schlimmer: Wo er öffentlich wird, da wird er zugleich zum irrealen Event herabgewürdigt, zur letzten Inszenierung. Ein höheres Maß an gesellschaftlicher Verdrängung ist kaum vorstellbar.

Fragen zur Pietät? kolumne@taz.de Morgen: Kirsten Fuchs über KLEIDER