Ein Symbol der orangenen Revolution

Die ukrainische Politikerin und Ex-Unternehmerin Julia Timoschenko wird zur neuen Regierungschefin ernannt

„Blonder Motor und Ikone der Revolution“, „Gasprinzessin“, „Jeanne d’Arc der Ukraine“: es gibt kaum ein Attribut, mit dem die ukrainische Politikerin Julia Timoschenko nicht schon versehen wurde. Jetzt setzt „Julia“, wie sie im Volksmund genannt wird, zum nächsten Sprung auf der Karriereleiter an: Am Montag ernannte der gerade vereidigte Präsident Wiktor Juschtschenko die 44-Jährige zur Regierungschefin. Gestern informierte die Zeitung Ukrainska Pravda bereits ausführlich über den ersten Arbeitstag Timoschenkos. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Nominierung noch vom Parlament bestätigt werden muss.

Das Amt des Premiers ist wohl die Belohnung für den mehrwöchigen Dauereinsatz Timoschenkos während der orangenen Revolution. Kaum ein Auftritt Juschtschenkos auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz Maidan, den die kleine Frau mit dem kunstvoll um den Kopf drapierten Zopf nicht flankierte. Sobald sie auftauchte, raste das Volk und holte sie mit rhythmischen „Julia, Julia“-Rufen“ gnadenlos in die erste Reihe auf die Bühne. „Sie ist ein Phänomen: Die Leute fangen an zu zittern, wenn sie spricht“, sagt der Politologe Wiktor Nieboschenko.

Gezittert haben – vor Wut – dürfte auch Russlands Präsident Wladimir Putin, als er von der Ernennung erfuhr. Dort wird Timoschenko per Haftbefehl gesucht. Sie soll drei Millionen Kubikmeter Erdgas aus Russland verschoben sowie Beamte des russischen Verteidigungsministeriums bestochen haben, um überhöhte Preise für Ausrüstungen und Energie zu erzielen, die ihre damalige Firma der russischen Armee lieferte.

Die Vorwürfe beziehen sich auf das Jahr 1995. Zu diesem Zeitpunkt hatte die studierte und promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin aus dem ostukrainischen Dnjepropetrowsk es mit tatkräftiger Unterstützung des damaligen Regierungschefs und heute in den USA wegen Geldwäsche inhaftierten Pawel Lazarenko zur Chefin der Vereinigten Energiesysteme der Ukraine gebracht. Die Firma verkaufte billiges russisches Gas zu Weltmarktpreisen an ukrainische Unternehmen sowie ins Ausland.

Ein Jahr später wurde sie Parlamentsabgeordnete und gründete die Partei Batkiwschtchina (Vaterland), die 1999 der Reformregierung Juschtschenko zu einer Mehrheit verhalf. Anfang 2000 holte Juschtschenko Timoschenko als Vizepremier ins Kabinett. Dort war sie für den Energiesektor zuständig und zog durch ihren Aufräumeifer recht schnell den Unwillen zahlreicher Oligarchen auf sich.

Ein Jahr später wurde sie von Präsident Leonid Kutschma geschasst und landete im Gefängnis. Timoschenko trat in den Hungerstreik und wurde nach 42 Tagen auf freien Fuß gesetzt. Mit dazu beigetragen hatten die Anti-Kutschma-Demonstrationen, auf denen auch immer wieder die Freilassung von „Julia“ gefordert wurde. Jetzt hat Timoschenko angekündigt, Ordnung zu schaffen. Ohne Reibungsverluste dürfte das auch diesmal nicht abgehen. BARBARA OERTEL