LESERINNENBRIEFE
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■ betr.: „Tabu Wahlverweigerung“ von Daniela Weingärtner,taz vom 26. 5. 09

Engagierte Abgeordnete wählen

Die Mehrheit des EU-Parlaments hat dem Beitritt mittelosteuropäischer Länder 2004 und 2007 doch nicht „aus Furcht vor einem Skandal“ und „aus fehlender Courage“ zugestimmt. Umgekehrt hat durchaus Mut und vor allem politische Weitsicht dazu gehört, Länder frühzeitig in die europäische Gemeinschaft einzubinden, die Jahrzehnte unter einem autoritären Staatssozialismus zurückgeworfen waren. Eindeutig hilft diese Einbindung, die noch schwachen Kräfte für mehr Demokratie, innere Freiheiten und kulturelle Toleranz zu stärken. Wenn der Grundrechtekatalog mit dem Lissabon-Vertrag in Kraft tritt, wird es zur europäischen Aufgabe und Verantwortung, die Rechte der Roma in Rumänien, Bulgarien oder Tschechien, die der Lesben und Schwulen oder die Gleichstellung der Geschlechter endlich durchzusetzen. Von der Vermeidung und Bändigung zwischenstaatlicher Konflikte ganz zu schweigen.

Es ist nicht zu verstehen, warum und wie ausgerechnet ein Wahlboykott gegen die Demokratiedefizite der EU nützen soll. Um mehr europäische Demokratie zu erreichen, brauchen wir in jedem Fall ein starkes Parlament. Und trotz vieler Rückschlage und mancher Gegenbelege ist es dem aktiven Teil an Europa-Abgeordneten in den letzten Jahren gelungen, das EU-Parlament aufzuwerten und seine Wirkungsmöglichkeiten zu vergrößern. Ebenso unstreitig weitet der Lissabon-Vertrag ihre Mitentscheidungsrechte weiter aus. Sicher noch unzureichend. Aber um in der Demokratisierung der EU weiter zu kommen, braucht es mehr engagierte Abgeordnete in Brüssel. Dann muss man genau diese Leute aber auch wählen. Ein Wahlboykott ist da nur lähmend und kontraproduktiv. HARTWIG BERGER, Berlin

■ betr.: „Tabu Wahlverweigerung“

Offen für kritische Geister

Als einzig wirkungsvollen Protest die Wahlverweigerung zu resümieren, ist das schwächste aller denkbaren Argumente. Alle Bürgerinnen und Bürger sind – nicht nur zur Europawahl – aufgerufen, sich einzumischen. Wer so bestechend gute Argumente zu haben glaubt, der soll sich engagieren und für seine Vorstellungen werben. Wenn alles so einfach wäre, dann brauchen wir keinen Wahlboykott. Im Gegenteil: Allen, die so überzeugend argumentieren können, müssten doch die Herzen der Wählerinnen und Wähler zufliegen. Meines Wissens sind alle Parteien offen für kritische Geister.

MATTHIAS SCHMIDT, Berlin

■ betr.: „Tabu Wahlverweigerung“

Wem nützt es?

Um Ihren Aufruf zur Wahlverweigerung bei den Europawahlen zu begründen, wählen Sie ausgerechnet zwei Themen, bei denen das Parlament nun wirklich nicht viel zu sagen hat: den Lissabon-Vertrag und die Osterweiterung. Und dann werfen Sie ihm auch noch vor, für das europäische Demokratiedefizit verantwortlich zu sein? Ausgerechnet dem Parlament, das seit Jahrzehnten für eine stärkere demokratische Legitimierung kämpft?

Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen Wahlboykott. Aber ich muss mich doch fragen: Wem nützt es? Bei den Europawahlen gibt es darauf eine eindeutige Antwort. Wenn ich das Parlament schwäche, stärke ich im Gegenzug die Kommission und den Rat – genau die beiden Institutionen, über die wir reden sollten, wenn es um Demokratiedefizit und die Entscheidungen bei Osterweiterung und Lissabon-Vertrag geht. Und diese beiden kann ich leider nicht direkt wählen. MARKUS STEIGENBERGER, Leiter EU-Koordinationsstelle des Deutschen Naturschutzrings, Berlin