Schlaufüchse auf billigen Plätzen

In NRW sollen keine Studiengebühren erhoben werden. Wissenschaftsministerin Kraft will so „die besten Abiturienten“ nach NRW locken. Die CDU fordert „nachgelagerte Studiengebühren“

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Nordrhein-Westfalens Wissenschafts-Ministerin Hannelore Kraft (SPD) will Studierende aus jenen Bundesländern abwerben, die künftig Studiengebühren erheben. In NRW nämlich bleibt das Erststudium gebührenfrei, versprach Kraft gestern in Düsseldorf, nachdem das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe das generelle Studiengebühren-Verbot des Bundes gekippt hatte. Fünf unionsgeführte Bundesländer kündigten dagegen an, Studiengebühren so bald wie möglich einzuführen – potentielle Kunden für Hannelore Kraft.

Allerdings will die Ministerin nicht alle Studierenden nach NRW holen: Nur „den besten Abiturienten“, so Kraft, werde NRW ein kostenfreies Studium anbieten. Ruth Seidl, bildungspolitische Sprecherin der Grünen, bezweifelt aber, dass „wir uns vor Einwanderern retten müssen“. Sie könne sich nicht vorstellen, dass jemand aus München nach NRW kommt, „nur weil hier das Studium gebührenfrei ist“. Einig sind sich SPD und Grüne im Jubel über ihr im vergangenen Jahr verabschiedeten Studienkonten-Modell. Kraft rühmt die Gebühren für Langzeitstudierende als „das intelligente und sozial gerechte Zukunftskonzept“. Seidl sagt, sie wolle dafür werben, „dass unser Konzept auch bundesweit greift“.

Die Universitäten des Landes zweifeln unterdessen, ob sie Studierenden aus anderen Bundesländern überhaupt einen Platz gewährleisten könnten. „Wir sind schon jetzt überlastet“, sagt der Sprecher der Kölner Universität, Wolfgang Mathias. Man müsse sehen, ob die Linie der Landesregierung durchzuhalten sei. Außerdem stünde die Universität Köln einer Einführung von Studiengebühren positiv gegenüber: „Die Unterfinanzierung der Universitäten könnte dadurch aufgefangen werden“, sagt Mathias. Vom Land könne man angesichts leerer Kassen schließlich nichts erwarten.

Die Universität Duisburg-Essen rechnet indes nicht damit, dass Studierende an nordrhein-westfälische Hochschulen überlaufen. Das sei eine Frage der Gestaltung in den anderen Ländern, so Universitäts-Sprecherin Monika Rögge zur taz: „Wenn dort ein gutes Stipendien-System eingeführt wird, bleibt der Andrang vermutlich aus.“

Unter der rot-grünen Koalition sollen Studierende im Erststudium also nicht zahlen müssen. Was aber, wenn NRW nach den Landtagswahlen im Mai von der CDU regiert wird? „Dann werden wir nachgelagerte Studiengebühren einführen“, sagt Manfed Kuhmichel, wissenschaftlicher Sprecher der NRW-CDU. Ähnlich wie beim BAföG müsste erst nach dem Studium gezahlt werden – wenn der Absolvent sein erstes Gehalt bekomme. Kuhmichel schätzt, bei etwa 250 Euro pro Semester müsse der Absolvent dann über sieben bis zehn Jahre rund 50 Euro im Monat zahlen. „Den Hochschulen würden so bis zu 80 Millionen Euro pro Jahr zur Verfügung stehen“, weiß Kuhmichel. Damit die Universitäten aber nicht erst in acht Jahren Geld bekommen, wenn die meisten ihr Studium beenden, müsse das Konzept „vorfinanziert“ werden. Aus welchen Töpfen das Geld vorgestreckt werden soll, ist aber auch der CDU unklar.

Das studentische Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) kündigte sofort nach der Urteilsverkündung „massive Proteste“ an. Morgen soll bei einer Vollversammlung in der Düsseldorfer Fachhochschule über die aktuelle Lage informiert und eine Resolution gegen Studiengebühren verabschiedet werden. Außerdem wollen die Studierenden über ihr weiteres Vorgehen beraten.

Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hatte das vor zweieinhalb Jahren erlassene Verbot genereller Studiengebühren als nichtig erklärt, da es das Gesetzgebungsrecht der Länder verletze. Damit gab das BVG sechs CDU-regierten Ländern Recht, die im August gegen das Gesetz der Bundesregierung geklagt hatten. In der Urteilsbegründung hieß es, der Bund habe mit dem Gebührenverbot seine Kompetenzen überschritten. Erst wenn die Einwohner eines Bundeslandes durch die Gebühren erheblich benachteiligt würden oder es zu gravierenden Wanderungsbewegungen in gebührenfreie Ländern komme, dürfe sich der Bund einschalten.