Drogen und die Stadt

In den Bauch des Wals und wieder heraus: Peter Otts kartographierte Prophetien in „Jona (Hamburg)“ im Lichtmeß

Der Mann mit der Kamera, einer kleinen digitalen, steht auf dem Rathausmarkt. Er deklamiert, Passanten beschleunigen ihren Schritt: „Dies ist das Wort des Herrn, wie es geschieht durch seinen Propheten in Hamburg.“ Er spricht von den verheerenden Folgen der Standortpolitik, von In- und Out-Zonen, Zonen der Fitness und des Verfalls, droht mit dem Untergang der Stadt, sollten sich ihre Bewohner nicht zur Umkehr entscheiden. Der Mann – kenntlich als der Filmemacher Peter Ott – borgt seine Worte von der Bibel: 40 Tage sollen der Stadt noch bleiben, so wie Ninive in der Ankündigung von Jona, der erst in einen Wal musste und wieder hinaus, um seinem Auftrag nachzukommen.

Danach beginnt der Sprung in die Fluten der Stadt, navigiert wird mit der Kamera. Am Schulterblatt trifft Ott Werner Wieser, den Hauptdarsteller seines Dokumentarfilms Jona (Hamburg). „Drogen und Klassengeographie“ lautet einer von dessen Untertiteln. Seit 15 Jahren wird Wieser mit Polamidon substituiert, trotzdem machen ihn Polizisten noch immer als Junkie aus. Er wird Otts Stadtführer sein in den „Zonen des Verfalls“, am Nobistor bei den Dealern, im Drob Inn am Hauptbahnhof. Den Besuch der Polizeicontainer am Hauptbahnhof machen die beiden zur Aktion. Der wachhabende Polizist muss sich Despektierliches anhören. Und bei Andrei Schwartz (Auf der Kippe) hat sich Ott abgeschaut, dass man auch Leuten, die im Dokumentarfilm auftreten, eine Gage zahlt.

Da Ott es nur dort genau nimmt mit der Filmgattung, wo es hilft, sie politisch zu machen, gibt es noch eine fiktive Figur: den Vater des Filmemachers, protestantischer Pfarrer mit Psychose, der nie zu sehen, dafür aber häufig zu hören ist. Er schickt Tonbänder mit weiteren Prophetien, flüchtet aus der psychiatrischen Anstalt, richtet sich unter einer Plane im Freihafen ein, um den Untergang Hamburgs aus sicherer Entfernung anzusehen. Ott selbst inszeniert sich: als Frustrierten, Prekarisierten, Choleriker im Umgang mit unterschiedlichen Kamerafrauen, als unduldsamen Vater und ratlosen Sohn.

So wie Ott mit Bildern und Tönen die Radical Urban Theory von Mike Davis auf den Prüfstand schickt, so lotet er auch die Möglichkeiten des Dokumentarfilms neu aus. Geklaut wird dazu bei Jean-Luc Godard, Thomas Münzer und Dietrich Bonhoeffer. Über Bord geht das hilflos gewordene Vokabular der jüngsten Demolinken. Und was am Schluss ausgespuckt wird, ist göttlich groteske Reflektion, Film als Form, die denkt.

Christiane Müller-Lobeck

Do, 27.1., 20 Uhr, Lichtmeß, in Anwesenheit von Peter Ott