Den Frauen nacheifern

Die norwegischen Handballer, traditionell im Schatten ihrer erfolgreicheren Kolleginnen, wollen bei der WM endlich auftrumpfen – heute gegen die Deutschen, die gestern Katar 40:15 bezwangen

AUS SOUSSE FRANK KETTERER

Steinar Ege ist ein mächtiger Kerl mit wachem Blick, und wenn er von sich und seiner Mannschaft spricht und dem, was sie erreichen kann bei dieser Handball-Weltmeisterschaft in Tunesien, dann legt er nicht wenig Pathos in seine kräftige Stimme. „Wir haben den Auftrag eines ganzen Landes zu erfüllen“, sagt Steinar Ege zum Beispiel, und weil das noch lange nicht genug ist für so einen großen Auftrag, fügt der Mann aus dem Tor hinzu: „Wir sind der Stolz von Norwegen.“

Das sind imposante Worte. Andererseits fällt es nicht schwer, sie zu glauben, man muss dazu nur mal ein Spiel der Norweger in Sousse besuchen. Die Tribünen im Salle Olympique bevölkern sich schon lange vor Spielbeginn mit Menschen in roten Pullovern, die kleine Norwegen-Fähnchen schwingen, große Norwegen-Fahnen ausrollen und dazu norwegische Glocken schütteln, mit denen sie einen mächtigen Radau machen. Auch ein paar Trompeten haben sie mitgebracht – und damit begleiten sie sich selbst bei den netten Liedern, mit denen sie ihre Mannschaft, die ja ihr ganzer Stolz ist, anfeuern. Bestimmt 500 norwegische Fans, einige sollen in den nächsten Tagen noch eintreffen, haben sich dafür aus dem Norden nach Sousse aufgemacht, und wenn sie ihre Handball-Party in der sonst eher trostlos wirkenden Olympia-Halle feiern, dann wirkt das nett und freundlich und friedlich und gar nicht so aggressiv und tumb, wie das bisweilen bei anderen Schlachtenbummlern rüberkommt, man denke da nur an die Deutschen. „Norweger sind immer fröhlich“, sagt Steinar Egen. Und er sagt auch, dass es für ihn und die Mannschaft „eine große Verpflichtung sei, noch mehr zu geben“. Schon damit die Fans auch einen richtigen Grund haben, stolz auf sie zu sein.

Handball, das kann man aus alledem längst erahnen, ist eine richtig große Nummer im Land der Fjorde. Er kommt gleich hinter Fußball und steht auf einer Stufe mit Biathlon, also noch vor Roar Ljökelsöy und dem Skispringen. Wobei man anmerken muss, dass die Männer in den letzten Jahren deutlich im Schatten der Frauen standen. Die haben nämlich schon lange eines der weltbesten Teams, kürzlich sind sie gerade wieder Europameisterinnen geworden; das EM-Finale sahen 1,2 von 4,5 Millionen Norwegern im Fernsehen. Da versteht es sich fast von selbst, dass auch die norwegische Frauen-Liga zu den stärksten der Welt zählt, entsprechend strömen die Zuschauermassen. Man muss also feststellen, dass der Handball-Boom in Norwegen in erster Linie Frauensache ist; und so richtig mithalten können die Männer da nach wie vor nicht. Schon ihre Liga ist viel zu schwach, die Spieler dort bestenfalls Halbprofis, und viel mehr als 500 Zuschauer verfolgen die Spiele selten live.

„Die Spieler müssen raus aus Norwegen“, fordert Steinar Egen deshalb, und zumindest ein Großteil der Nationalmannschaft ist seiner Aufforderung längst gefolgt, vor allem die Bundesliga ist ein beliebter Arbeitgeber. Spielmacher Glenn Solberg zum Beispiel spielt bei der SG Flensburg-Handewitt, ebenso Johnny Jensen; Hagen Frode steht beim THW Kiel unter Vertrag, Preben Vildalen und Jan Thomas Lauritzen spielen für Post Schwerin bzw. für den TuS Nettelstedt-Lübbecke auf, Steinar Egen selbst hält für den VfL Gummersbach Handbälle. Kristian Kjelling, den Star der Mannschaft, hat es wiederum zum spanischen Erstligisten Ademar León gezogen. Kjelling ist erst 24 Jahre alt, aber Steinar Egen sagt schon jetzt: „Das wird der kommende Superstar.“ Über Egen wiederum heißt es, er könne an einem guten Tag den Gegner mit seinen Paraden alleine besiegen.

Die Weltmeisterschaft in Tunesien ist für diese Männer von großer Bedeutung, schließlich waren sie seit der WM in Frankreich vor vier Jahren bei keinem großen Turnier mehr dabei, 13. wurden sie damals. Nun aber wollen sie endlich aus dem Schatten treten– und auch ein bisschen die Sonne des Erfolgs genießen. Zwar lacht Steinar Ege herzhaft, wenn man ihn nach den Zielen hier in Tunesien befragt und scherzt: „Du glaubst doch nicht, dass ich dir das verrate?“ Ein paar Sätze später aber sagt er: „Es wird Zeit, dass wir es unseren Frauen nachmachen und endlich auch mal was gewinnen.“ Diesmal lacht Steinar Ege nicht, sondern sieht sehr ernst aus – und entschlossen.

Genau so wollen er und seine Norweger auch heute (20.10 Uhr live im DSF) gegen die deutsche Mannschaft zu Werke gehen, die gestern mühelos mit 40:15 gegen Katar auch ihr drittes Vorrundenspiel gewann. Für beide Teams ist es eines der vorentscheidenden Spiele um den Sieg in der Vorrundengruppe D. „Wir sind auf einem guten Weg“, sagt Steinar Ege, und auch Heiner Brand hat das längst erkannt. „Die Norweger sind eine sehr, sehr solide Mannschaft mit einigen Highlights drin. Die haben in der Qualifikation nicht umsonst den Olympiavierten Ungarn geschlagen“, warnt der Bundestrainer und macht Norwegen kurzerhand zu „meinem Favoriten in dieser Gruppe“. Steinar Ege hört solche Worte nicht ungern, sie sind ganz in seinem Sinne. Auch er warnt: „Vorsicht, Deutschland, wir sind schwer auszurechnen und sehr unangenehm!“