Staatsmann mit eisernem Machtwillen

Seit fünf Jahren ist Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel im Amt. Doch seine Regierungsbilanz fällt mäßig aus

Wolfgang Schüssel ist ein Mann mit vielen Talenten. Wenn er sich in einer Sitzung langweilt, kritzelt er Ornamente oder Karikaturen der anwesenden Personen auf seine Unterlagen. Er kann mit Klavier und Ziehharmonika umgehen. Und beim Fußball zeigt er einen unerbittlichen Zug zum Tor. Das eine oder andere Foul ist dabei einkalkuliert.

Dieser Siegeswille hat ihn auch in der Politik an die Spitze gebracht. Man erinnert sich, dass er vor den Nationalratswahlen 1999 seinen Wählern drohte, wenn die ÖVP zur dritten Kraft absteige, ginge er in die Opposition. Tatsächlich blieben die Christlich-Sozialen nicht nur hinter der SPÖ, sondern auch hinter der FPÖ zurück. Aber Schüssel wurde nicht Oppositionsführer, er wurde Bundeskanzler – mit Hilfe Jörg Haiders.

Monatelang stand Schüssel wegen seiner Allianz mit dem verachteten Rechtspopulisten im europäischen Schmuddeleck. Inzwischen zollen ihm auch Kritiker Respekt. Er zeige Mut zu Unpopulärem, etwa bei der Rentenreform oder der Einführung von Studiengebühren.

Bevor sich am 4. Februar die Regierungsbildung zum fünften Mal jährt, wird in Österreich Bilanz gezogen und die Frage aufgeworfen, ob man nach einem halben Jahrzehnt schon von einer Ära Schüssel sprechen könne. Die Leistungsbilanz fällt mager aus. „Mehr privat, weniger Staat“, lautet ein Slogan des Ex-Chefs des ÖVP-Wirtschaftsbundes. Doch die Privatisierungserfolge Schüssels sind bescheiden. Das florierende Staatsunternehmen Austria Tabak für fünf Jahresgewinne zu verscherbeln, sei keine Meisterleistung, ätzte der Industrielle und einstige ÖVP-Chef Josef Taus.

Konzerne, die die besten Stücke der verstaatlichten Industrie erworben haben, entlassen reihenweise Arbeiter und zahlen nach der jüngsten Steuerreform kaum noch Abgaben. Die ÖBB werden gerade zum Schaden der Bahnkunden zerschlagen.

Schüssels vielleicht größtes Verdienst ist die Zähmung der FPÖ. Von der politisch mit allen Wassern gewaschenen ÖVP an die Brust genommen, blieb ihr die Luft weg. Jörg Haider wirkt mit seinen Sprüchen nur noch lächerlich. Doch gleichzeitig hat der Koalitionspartner auf die ÖVP und den Kanzler abgefärbt. Je näher die Wahlen vom Herbst 2006 rücken, desto populistischer wird Wolfgang Schüssel.

So versprach er nach dem unpopulären Ja zu EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, das Volk werde später über einen Beitritt entscheiden dürfen – zu einer Zeit, für die weder Schüssel noch seine Partei Garantien abgeben können. Das Versprechen, den Wehrdienst noch vor den Wahlen von acht auf sechs Monate zu verkürzen, spricht nach Militärexperten dem Bekenntnis zur ständigen Verteidigungsbereitschaft Hohn. Denn das Bundesheer kann sich nicht rechtzeitig anpassen. Schüssel hat sich aber mit der Aura des großen Staatsmannes umgeben und versteht es, die albernsten Ideen mit todernster Miene als Ergebnis reiflicher Überlegungen zu verkaufen. RALF LEONHARD