Mehr Transparenz für die WTO

Der frühere EU-Kommissar Lamy könnte Chef der Welthandelsorganisation in Genf werden, meint Experte Georg Koopmann. Das wäre gut für notwendige Reformen

taz: Herr Koopmann, der frühere EU-Handelskommissar Pascal Lamy bewirbt sich um den WTO-Chefsessel. Wie sind seine Chancen?

Georg Koopmann: Sie sind gut. Lamy hat nicht nur in Europa und im Mittelmeerraum Rückhalt, sondern über Partnerschaftsabkommen der EU auch in Afrika. Außerdem verbindet ihn eine „special relationship“ mit Robert Zoellick, dem US-Handelsbeauftragten. Die Lateinamerikaner stehen sich mit zwei Kandidaten gegenseitig im Wege.

Was würde sich ändern, wenn er die WTO leiten würde?

Lamy würde vermutlich stärker als andere den Akzent auf eine institutionelle Reform der WTO legen, zumal er die WTO in Cancún ja als eine „mittelalterliche Einrichtung“ geschmäht hatte. Eine solche Reform müsste vor allem mehr Transparenz der internen Entscheidungsabläufe bringen und nach außen zu einer stärkeren „Rückbindung“ in die nationalen Parlamente und in die Zivilgesellschaft der Mitgliedsländer führen. Diese Fragen sind aus der aktuellen WTO-Agenda ausgeblendet.

Die WTO feiert gerade ihren zehnten Geburtstag – auf dem Rücken der Armen, meinen Globalisierungskritiker. Denn die Schere zwischen Arm und Reich sei durch die WTO größer geworden. Teilen Sie das Fazit?

Nein. Zunächst: Die WTO ist keine Entwicklungsinstitution. Ihr Auftrag lautet, den internationalen Handel zu liberalisieren und handelspolitische Machtausübung einzudämmen, so dass kleine und weniger entwickelte Länder vor Willkür geschützt werden. Der von Ihnen angesprochene Zusammenhang zwischen freierem Handel und Armutsentwicklung ist nicht eindeutig. So viel aber gilt: Wenn handelspolitische Reformen durch den Aufbau von leistungsfähigen Institutionen z. B. bei der sozialen Sicherung, Bildung oder Besteuerung abgestützt werden, kann Handelsliberalisierung einen echten Entwicklungsbeitrag leisten.

Und hat die WTO hier einen guten Job gemacht?

Die WTO hat ihre Kooperation mit anderen internationalen Einrichtungen wie IWF, Weltbank oder dem United Nations Development Programm verstärkt. Insbesondere bei der Verzahnung von Handelspolitik mit Armutsbekämpfungsstrategien sind deutliche Fortschritte festzustellen. Aber nochmals: Entwicklungspolitik ist nicht der zentrale Auftrag der WTO.

Der besteht weiterhin in einem möglichst freien Handel – Kritiker nennen das „Liberalisierungsmaschine“. Und davon hat doch bislang vor allem die Industrie des Nordens profitiert.

Auf der letzten WTO-Konferenz in Cancún haben die Entwicklungs- und Schwellenländer unter Führung von Brasilien und Indien bewiesen, dass sie zur „Gegenmachtbildung“ fähig sind. Dort ließen sie einen von der EU und den USA angestrebten faulen Kompromiss beim Abbau von Agrarsubventionen scheitern. „Cancún“ war insofern ein konstruktiver Fehlschlag, aus dem die WTO gestärkt und in veränderter Machtkonstellation hervorging.

Die wichtigen Fragen werden aber doch immer noch vor allem in kleiner Runde von den Großen im Green Room der WTO hinter verschlossenen Türen ausgehandelt.

Die in Cancún angestoßene Entwicklung hat vor den Green Rooms nicht Halt gemacht. Das zeigte sich, als im vergangenen Juli in Genf ein neuer Verhandlungsrahmen für die Doha-Runde beschlossen wurde. Übrigens hat Lamy dazu entscheidend beigetragen. Dabei haben die reichen Länder eine vollständige Beseitigung der Agrarexportsubventionen und einen „substanziellen“ Abbau inländischer Agrarsubventionen zugesagt.

Ohne dafür aber einen konkreten Zeitpunkt zu nennen.

Das stimmt. Das Juli-Paket muss in den kommenden Verhandlungen mit konkreten Schritten und Fristen ausgefüllt werden. Wenn die WTO sich dabei auf ihr Kerngeschäft – die gegenseitige Marktöffnung durch regelgebundenes Verhalten – konzentriert, könnte am Ende für beide Seiten ein brauchbares Ergebnis stehen.

INTERVIEW: STEPHAN KOSCH