Gewerkschaften jetzt wieder ganz lieb zur SPD

DGB-Chef Sommer will mit Linkspartei nichts zu tun haben und nennt Protest gegen Hartz IV „Schlacht von gestern“

BERLIN taz ■ Fast fünf Prozent ihrer Mitglieder haben die deutschen Gewerkschaften 2004 verloren. Sie zählen jetzt nur noch 7 Millionen Beitragszahler. Damit werde die Erfahrung bestätigt, dass „die Menschen in Krisenzeiten nicht den Schutz der Gewerkschaften suchen“, erklärte der Chef des Gewerkschaftsdachverbands DGB, Michael Sommer, gestern. Mit einer Internet-gestützten Aufrüstung des Beratungsangebots wollen die Gewerkschaften jedoch bis 2006 die „Trendwende“ erreichen und wieder Mitglieder gewinnen.

Sommer gestand ein, die Gewerkschaften seien im vergangenen Jahr „an der einen oder anderen Stelle gesellschaftspolitisch nicht auf dem richtigen Weg gewesen“. Auf die Bitte zur Konkretion führte der DGB-Chef aus: Die Entscheidungen zur „Hartz IV“ genannten Arbeitsmarktreform seien „gefallen“, und „wir werden keine Schlacht von gestern erneut schlagen“. Vielmehr habe er beim Kanzler wie beim Wirtschaftsminister die „Bereitschaft“ entdeckt, Hartz-IV-bedingte Fehlentwicklungen zu erfassen.

Damit rückt Sommer wieder deutlich näher an die SPD heran. Ebenso deutlich distanziert er sich auch vom Anti-Hartz IV-Kurs etwa der neu gegründeten Partei Arbeit und soziale Gerechtigkeit (ASG), die im Mai in Nordrhein-Westfalen als Linkspartei gegen die SPD antritt. Sie wird maßgeblich von Gewerkschaftern unterstützt. Möglicherweise haben Sommers Andeutungen auch mit dem neuen Aufwind für die SPD zu tun: Laut der jüngsten Forsa-Umfrage liegen SPD und Grüne erstmals seit der Herbst 2002 mit zusammen 46 Prozent wieder knapp vor Union plus FDP mit 45 Prozent.

Neben der Mitgliederwerbung nannte Sommer als weiteren Schwerpunkt 2005 den „Europäischen Sozialstaat“. Nun beteuern Gewerkschaften wie SPD seit Jahren, dass es Zeit werde, über Sozialstaatlichkeit im EU-Kontext zu reden – ohne dass viel passiert wäre. Doch hat sich erst vor wenigen Tagen auch eine neue SPD-Kommission „Europäisches Sozialstaatsmodell“ unter dem Vorsitz des Niedersachsen Sigmar Gabriel zum ersten Mal getroffen. Mitglied ist auch Sommer. Kommt diese Runde in Schwung, könnte sie neben der Arbeitsgruppe zur Bürgerversicherung die zweite SPD-Gewerkschaftsgruppe werden, die Kernelemente eines Regierungsprogramms 2006 ausarbeitet.

ULRIKE WINKELMANN