Studiengebühren: Wiedervorlage 2006

Der Bund sieht sich hochschulpolitisch auf der Zuschauertribüne. Die SPD fühlt sich da ganz wohl – sie wartet auf den Wahlkampf

BERLIN taz ■ In der Bundesregierung herrschte gestern in den Abteilungen Wissen nur noch Zynismus. Das Karlsruher Gebührenurteil bedeute doch, sagte ein hoher Beamter, „dass unsere Feuerwehr erst ausrücken darf, wenn es in den Hochschulen der Bundesländer brennt und die Gleichheit der Lebensverhältnisse gefährdet ist“.

So ist die neue Sachlage beim Thema Bezahlstudium. Nur wenn regelrechte Völkerwanderungen von Studierenden einsetzen und sozial schwache Schichten noch stärker als bisher vom Studium abgeschreckt werden, darf der Bund ordnend eingreifen.

Die Union freut das (siehe Interview). Sie machte sofort das Fass der Föderalismusreform neu auf: Karlsruhe habe die Kompetenz der Länder klar bestätigt, sagte Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU). Der Bund und die SPD müssten dies bei Gesprächen über die Neuordnung des Bundesstaates künftig voll anerkennen.

Was die SPD anerkennt, ist freilich zunächst etwas anderes. Sie will den jungen BürgerInnen des Landes weiter ein gebührenfreies Studium anbieten. Das soll offenbar auch im Wahlkampf 2006 deutlich werden. Gestern überraschte jedenfalls die Einmütigkeit auf SPD-Seite. Ministerpräsident Kurt Beck (SPD) aus Rheinland-Pfalz etwa verwies auf die Folgen des Urteils, die sich durch die Einführung des Bezahlstudiums ergeben. „Studiengebühren widersprechen dem zentralen Ziel der Bildungspolitik, die Studierendenquote zu erhöhen“, sagte Beck. Er schlug vor, eine Art Finanzausgleich zwischen den Bundesländern für den Hochschulsektor einzuführen. Und drohte zugleich, falls dies nicht gelinge, sei sein Land gezwungen, den Studienzugang für Nichtlandeskinder einzuschränken.

Die Union hofft unterdessen darauf, dass die bundeseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau jene Studierenden sozial absichert, die demnächst von Studiengebühren betroffen sein werden. Die Bank allerdings äußerte sich gestern nicht. In Regierungskreisen wurde unterdessen auf das Urteil von Karlsruhe zurückverwiesen. „Das Verfassungsgericht gibt den Ländern die Kompetenz für Gebühren“, sagte Wissenschaftsstaatssekretär Wolf-Michael Catenhusen (SPD), „aber es nimmt die Länder auch für deren soziale Ausgestaltung in die Pflicht.“

Das bedeutet praktisch: Wenn einzelne Bundesländer wie Bayern, Hamburg oder Baden-Württemberg noch in diesem Jahr Gebühren kassieren wollen, dann müssen sie auf Landesebene dafür Finanzierungen organisieren. Eine Umwidmung von Bafög-Mitteln für Studienkredite ist jedenfalls nicht vorgesehen. „Warum sollten wir Risiken absichern, die die Länder geschaffen haben?“, hieß es in Berlin.

Die Studierendenvertreter waren geschockt von der Klarheit des Urteils. „Es kann doch keine Lösung sein, dass bei Studiengebühren quer durch Deutschland ein Riss geht“, sagte die Sprecherin des Studentendachverbandes fzs, Nele Hirsch. Es sei nicht zu verstehen, dass die Richter die massiven Studentenwanderungen nicht gewürdigt hätten, die sich nun durch Deutschland bewegen würden: vom Bezahl- zum Gratisstudium. CHRISTIAN FÜLLER