Ein Dandy der Moderne

Zeit seines Lebens überraschte der Architekt Philip Johnson mit seinen unerwarteten Wandlungen. Im Alter von 98 Jahren ist er nun in seinem berühmten „Glass House“ in den USA gestorben

VON DANIEL BAX

Wenn er an seinem Beruf etwas bedauere, soll Philip Johnson einmal gesagt haben, dann sei es die ewige Sichtbarkeit von Irrtümern und Fehlern. Maler könnten missglückte Werke einfach zerreißen. Architekten müssten mit ihren Bauten ein Leben lang auskommen. Das war natürlich wenig mehr als reine Koketterie. In seinem berühmten „Glass House“ in New Canaan, Connecticut, mit dem er 1949 für Furore sorgte, lebte er bis zuletzt mit seinem Lebensgefährten David Whitney.

Als das Haus entstand, galt es als eine Sensation. Ohne Wände und Mauern frei in der Natur stehend, wurde es mit seinem rechteckigen Grundriss von gerade mal 10 x 17 Metern als Prototyp des „International Style“ gefeiert. Das Grundstück rund um das Bauwerk entwickelte sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem Architekturpark, an dem man auch die ästhetischen Wandlungen des Architekten ablesen konnte, der sich mit der Zeit von den Prinzipien der klassischen Moderne abwandte.

Zu seinen wichtigsten Bauten gehört das Seagram Building in New York, das Johnson gemeinsam mit Mies van der Rohe schuf. Eine Art monumentale Variante der „Glass House“-Idee, entstand es 1964 mit seinen 38 verglasten Stockwerken an Manhattans Park Avenue. Im „Four Seasons“-Restaurant des Hauses soll Johnson in seinen besten Jahren gerne seinen Lunch eingenommen haben, stets umringt von angehenden Architekten. Eine Zeit lang war Johnson, mit seinen Designeranzügen und seiner selbst entworfenen, runden schwarzen Brille, ein Liebling der TV-Shows und der Yellow Press. Er sei „eine Kombination aus Pate, Nervtöter, Lehrmeister, Kritiker, Kurator und Anfeuerer“, schrieb die New York Times.

Seinen Freund und Mentor Mies van der Rohe hatte der 1906 geborene Johnson bereits während seiner Deutschlandreisen 1929 und 1930 kennen gelernt, die ihn auch an das Bauhaus nach Dessau geführt hatten. Später, 1940, schrieb sich Johnson ein zweites Mal an der Harvard Universität an, um bei dem unter dem von den Nazis aus Deutschland vertriebenen Walter Gropius in die Lehre zu gehen.

Vorangegangen war eine höchst bizarre Episode im Leben des Architekten. Angezogen von der Ästhetik des Nationalsozialismus mit seinen inszenierten Massenaufmärschen, aber auch unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise, hatte Johnson in den USA, eine rechtslastige Partei gegründet, die jedoch politisch unbedeutend blieb und nicht lange überdauerte. Daneben ließ er sich zeitweilig auch vom deutschen Propagandaministerium einspannen und verfasste wohlwollende Berichte über das deutsche Regime in rechtsgerichteten amerikanischen Zeitungen.

Damals war Philip Johnson von 1930 bis 1936 immerhin bereits erster Abteilungsleiter für Architektur und Design am „Museum of Modern Art“ (MoMA) in New York gewesen und einer der prägenden Architekturkritiker. Schon 1940 ging Johnson jedoch vorsichtig auf Distanz zu seinen früheren politischen Anschauungen. Als eine Form der Wiedergutmachung, entwarf er in den Sechzigerjahren kostenlos die Synagoge des kleinen Städtchens Port Chester, das ungefähr eine Autostunde von Manhattan entfernt liegt.

Für Überraschungen sorgte Philip Johnson bis ins hohe Alter. Mit seinem Wolkenkratzer für die Zentrale des US- Telefonriesen AT&T in New York 1984 prägte er den Postmodernismus mit, wenngleich der Bau aufgrund seiner für Johnson ungewöhnlich verspielten, geschwungenen Dachkonstruktion von Kritikern zunächst als „Chippendale Building“ geschmäht wurde.

Mit 82 Jahren machte Johnson erneut von sich reden, als er mit einer von ihm und Mark Wigley ausgerichteten Ausstellung neuester Arbeiten von sieben Architekten den Beginn der Ära der „Dekonstruktivisten“ ausrief, und damit diese asymmetrischen Formen verpflichtete Bauströmung salonfähig machte.

In Berlin schuf Johnson von 1994 bis 1997 an der Friedrichstraße unweit vom einstigen Grenzübergang Checkpoint Charlie ein Bürocenter, das nach ihm benannt wurde. Seinen mit kolossalen Wandpfeilern fast neogotisch anmutenden Bau wollte er ausdrücklich als Kritik an den rigiden Berliner Baugesetzen verstanden wissen. Für Verwunderung sorgte er auch, als er 1994 bei einer Rede in Wien die „Stalinallee“ in Ostberlin als eine der bedeutendsten „städtebaulichen Errungenschaften des zwanzigsten Jahrhunderts“ pries.

Von seinem letzten Vorhaben zeugt das Modell einer „Kathedrale der Hoffnung“ für Schwule und Lesben, die „größer als Notre-Dame“ werden und sein „größter Erfolg“ werden sollte. Dienstagnacht ist er im Alter von 98 Jahren gestorben, in seinem berühmten Haus aus Glas.