„Wir kennen ein sehr gewalttätiges, aggressives Deutsch“, sagt Hagai Dagan

Bundespräsident Köhler sollte vor der Knesset deutsch sprechen dürfen – obwohl es berechtigte Einwände gibt

taz: Herr Dagan, Bundespräsident Horst Köhler will kommende Woche vor dem israelischen Parlament, der Knesset, eine Ansprache auf Deutsch halten. Dagegen gibt es Protest. Halten Sie das für angebracht?

Hagai Dagan: Sprache ist Teil eines breiteren kulturellen und historischen Komplexes. Unser Verhältnis zur Sprache ergibt sich aus der Geschichte – und zwar in Bezug auf das Deutsche. Die Bayern wären vermutlich im Anschluss an den 30-jährigen Krieg auch nicht sehr glücklich darüber gewesen wären, wenn zehn Jahre später ein Schwede gekommen wäre und eine Rede auf Schwedisch gehalten hätte. Das Schwedische hatte sich in ihrem Bewusstsein, auf assoziativer Ebene, als etwas Traumatisches festgesetzt. Je tiefer das Trauma sitzt, desto schärfer die Reaktion. Ich empfinde das sogar in Bezug auf das Hebräische. Es gibt Wörter, die ich nicht unbeschwert benutze, weil sie von den (jüdischen) Siedlern zur Propagandazwecken eingesetzt werden. Das „Volk Israels“ oder „das Gelobte Land“ – damit hatte ich auch als weltlicher und linker Jude kein Problem, bevor es den „Gusch Emunim“ (fundamentalistische Bewegung gegen territoriale Kompromisse) gab.

Sie sprechen von einem Trauma. Für die meisten heute lebenden Israeli ist die Schoah die Geschichte der Eltern und Großeltern.

Mein Vater ist Überlebender der Konzentrationslager. Er empfindet diese negativen Assoziationen ganz unmittelbar. Bei mir sind die Assoziationen Ergebnis des kulturellen Umfeldes, des öffentlichen Diskurses und des politischen Lebens. Da ich als Kind Deutsch nur in den Filmen hörte, die am Holocaust-Gedenktag ausgestrahlt wurden, habe ich seitdem bei dieser Sprache negative Assoziationen. Jedes Mal wenn ich Deutsch höre, denke ich auch an den Holocaust. Das betrifft die gesamte Sprache und ganz besonders die Wörter, die in diesen Filmen widerhallen, wie „schnell“, „raus“, „Umschlagplatz“. Das sind im Übrigen für viele Israeli fast die einzigen deutschen Worte, die sie überhaupt kennen. Damit bleiben für sie die Assoziationen des Deutschen auf den Holocaust beschränkt.

Ist das auch darauf zurückzuführen, dass das staatliche Fernsehen sonst keine deutschsprachigen Filme zeigte.

Für mich war es ein Erlebnis, als ich dem Film „Himmel über Berlin“ sah. Es war damals in den 80er-Jahren selten, dass ein deutscher Film nach Israel kam. Alles was davor auf Deutsch in die Kinos kam, waren Pornofilme. Die gab es massenweise. Im Übrigen hat auch das Assoziationen geschaffen. Auf der einen Seite gab es den „Umschlagplatz“ auf der anderen Worte wie „durchficken“. Irgendwie passt beides auch ganz gut zusammen, denn in beiden Fällen handelt es sich um ein sehr gewalttätiges, aggressives Deutsch. Aber als der „Himmel über Berlin“ nach Israel kam, hörte ich plötzlich ein ganz anderes, ein sanftes, geradezu poetisches Deutsch. Für mich war das fast eine Offenbarung, dass es so etwas auch gab. Vielleicht sollte man anstelle des Präsidenten lieber Bruno Ganz dazu einladen, vor der Knesset zu sprechen. Das könnte einen erlösenden Effekt haben. Es müsste allerdings der Engel aus „Himmel über Berlin“ sein, nicht der Hitler aus dem „Untergang“.

Müsste nicht die Tatsache, dass Deutsch eben nicht nur die Sprache Hitlers, sondern auch die des Zionisten Theodor Herzl („Der Judenstaat“) war, die Gemüter in Israel besänftigen?

In dem Moment, wo wir die Geschichte reflektiert betrachten und die Assoziationen beiseite schieben, müssen wir uns sagen: Okay. Das ist schwer, traumatisch und problematisch, aber trotzdem muss man damit distanzierter umgehen, als einfach zu sagen „Wir wollen nie wieder Deutsch hören und Schluss“. Es ist, als sei man in jemanden verliebt, der einem plötzlich ins Gesicht spuckt. Die Frage ist, was dir bleibt, was du mitnimmst. Du erinnerst dich an die Liebe, aber auch an die Beleidigung. Es gehört zusammen. Es ist ein verzwicktes Verhältnis.

Und irgendwie paradox, wenn zum Beispiel ausgerechnet in Israel täglich eine deutschsprachige Tageszeitung produziert wird?

Das ist nicht paradox. Auf der einen Seite gibt es einen etwas kindischen öffentlichen Diskurs, auf der anderen eine Öffentlichkeit, die mit dieser Sprache aufgewachsen ist und auf ihre Kultur nicht verzichten will. Schade ist nur, dass wir gerade diese Öffentlichkeit bei dem Diskurs um die deutsche Sprache nicht hören. Stattdessen haben wir es mit so einem Hemi Doron (Parlamentarier der gegen die Ansprache protestierte) zu tun, von dem noch nie jemand etwas gehört hat.

Dann empfinden Sie also seinen Protest als nicht angebracht?

Ich halte Boykotte dieser Art für kindisch. Das gilt auch für die Leute, die zuerst gesagt haben, dass sie niemals einen Volkswagen kaufen würden und es dann doch taten. Warum? Weil es ein gutes Auto ist. Oder die, die sich weigerten, die Wiedergutmachung anzunehmen. Letztlich haben doch fast alle das Geld genommen. Oder nehmen sie den Streit um Richard Wagner. 90 Prozent der Leute, die erklären, dass sie nie im Leben Wagner hören wollen, würden dessen Musik nicht mal erkennen, wenn sie sie hören. Wir bewegen uns hier auf einer Ebene dummer Parolen. INTERVIEW: SUSANNE KNAUL