Alles noch in Bewegung

SCHULSPORT Nach Widerständen auch aus dem eigenen Lager will die Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD) nun doch nicht wie geplant bei den Sportstunden sparen

„Es geht darum, den eigenen Körper zu erfahren, etwas zu wagen“, sagt ein Sportlehrer

Von Eiken Bruhn
und Jan Zier

Wieder vom Tisch sind Pläne der Bildungssenatorin Renate Jürgens-Pieper (SPD), den Schulsport zu reduzieren. Sie reagierte damit auf den einhelligen Protest aus allen Parteien.

„Wir nehmen die Kritik sehr ernst und werden entsprechend reagieren“, sagte Ressortsprecherin Karla Götz gestern. Die Sportdeputation hat das Thema deshalb gestern kurfristig wieder von der Tagesordnung gestrichen. Nun will Jürgens-Pieper kommende Woche in der Bildungsdeputation einen neuen Vorschlag präsentieren.

Hintergrund ist eine Neuorganisation des Stundentableaus. Diese soll den Schulen einen größeren Gestaltungsspielraum bei der Setzung von Schwerpunkten ermöglichen. Deshalb sind künftig nur noch Mindeststundenzahl für Unterrichtsfächer vorgeschrieben. Diese können mit Stunden aus den Bereichen „Profil und Ergänzung“ sowie „selbständiges Lernen – Vertiefung“ aufgestockt werden können. Für Sport waren nur 12 Wochenstunden vorgesehen, die im Gymnasium auf die Schuljahre fünf bis neun verteilt worden wären. Bei den neuen Oberschulen wären es 14 bis Klasse zehn gewesen. Faktisch hätte das an fast allen Schulen – außer denen mit einem Sport-Schwerpunkt – dazu geführt, dass Sport nicht wie bisher mit drei Stunden unterrichtet worden wäre sondern mit ein bis zwei.

Die CDU forderte eine Anhebung auf 15 beziehungsweise 18 Stunden. Zwar müssen andere Fächer wie Kunst, Musik und Religion mit noch weniger Stunden auskommen, aber gerade dem Schulsport, so die CDU, komme „eine besondere Bedeutung“ zu. Kinder und Jugendliche bräuchten Bewegung – diese diene nicht nur der körperlichen, sondern auch der geistigen Entwicklung. Aus anderen Parteien war ähnliches zu hören.

Zudem hatte die CDU bemängelt, dass zu viel Sportunterricht ausfällt, weil eine Schule keine Halle besitzt oder eine, die zu klein oder zu marode ist – und deshalb die dritte Stunde in der Woche bereits jetzt selten unterrichtet wird. Sporthallensanierungen und -erweiterungen seien von der aktuellen Haushaltssperre nicht betroffen und könnten „wie geplant“ durchgeführt werden, sagte Sportsenator Ulrich Mäurer (SPD) dazu gestern der Sportdeputation.

Wenig geredet wird indes über die Frage, inwiefern der Sportunterricht das postulierte Ziel erfüllt, Kindern die Freude an der Bewegung zu vermitteln. Auf dass sie sich auch in ihrer Freizeit sportlich betätigen. In der Theorie soll sich die Sportpädagogik grundlegend gewandelt haben und nicht mehr nur die Sportskanonen fördern, sondern auf individuelle Fähigkeiten und Grenzen Rücksicht nehmen. Ob nun eine von ihm unterrichtete Schülerin bei Olympischen Spielen teilnimmt oder ein körperbehindertes Kind danach fragt, ob man wieder Seilspringen machen könne, „weil das beim letzten Mal so viel Spaß gemacht hat“ – beides freue ihn gleichermaßen, sagt Harald Wolf, Referent für Schulsport bei der Bildungssenatorin und Lehrer am Schulzentrum Ronzelenstraße, an dem Leistungssportler unterrichtet werden. „Es geht darum, den eigenen Körper zu erfahren, etwas zu wagen“, so der 48-Jährige. Demotivierend sei es, alle Kinder im wahrsten Sinne des Wortes über dieselben Hürden springen zu lassen. „Es müssen nicht alle beim Bockspringen über 1,20 Meter kommen. Und für manche ist es eine große Leistung, wenn sie eine Runde ohne Pause laufen können“, sagt Wolf. Er räumt aber ein, dass die Persönlichkeit des oder der Lehrenden eine große Rolle spiele.

Gar nichts hält Wolf davon, die dritte Sportstunde von Sportvereinen unterrichten zu lassen, wie es die SPD vorschlägt. „Das müssen ausgebildete Sportpädagogen machen“. Die Vereine könnten den Schulsport lediglich ergänzen.