Lebensgefährliches Ehrenamt

Ein Deutscher bildet irakische Wahlbeobachter aus. Bis Sonntag sollen die alle Spielregeln einer freien Wahl lernen. Dazu gehört, den Wahlzettel zu falten

AUS AMMAN KARIM EL-GAWHARY

„Ihr seid die Augen und Ohren der irakischen Wahlen“, weist Thomas Dackweiler seine Schüler ein. Im Ballsaal eines Fünfsternehotels in der jordanischen Hauptstadt Amman lauschen zwanzig Iraker den Ausführungen des deutschen Ausbilders für Wahlbeobachter.

Finanziert vom Auswärtigen Amt in Berlin und im Auftrag der Friedrich Ebert Stiftung soll Dackweiler die Sinne der irakischen 200 Wahlbeobachter schärfen, die bei den ersten Wahlen nach dem Sturz Saddam Husseins am Sonntag zum Einsatz kommen sollen. Dackweiler kommt auf die Besonderheit der Wahl zu sprechen: Die Wähler wurden von islamistischen Gruppen zu „Ungläubigen“ und von militanten nationalistischen Organisationen zu „Besatzungskollaborateuren“, zu legitimen Anschlagszielen erklärt. Der Job eines Wahlbeobachters ist gefährlich, deshalb wird es keine internationalen Beobachter geben. Schon bei den Vorbereitungen wurden acht Mitarbeiter der irakischen Wahlkommission umgebracht, dutzende sind zurückgetreten.

„Ihr sollt beobachten“

„Keine Wahlurne ist es wert, sich töten zu lassen, egal wie patriotisch oder demokratisch ihr seid. Das Leben der Beobachter hat die höchste Priorität“, lautet Dackweilers wichtigster Grundsatz. „Ihr sollt beobachten, nicht eingreifen. Wenn ihr ein Problem seht, dann werdet nicht Teil des Problems“, weist er seine Schüler an und bittet sie dann, mögliche Probleme zu nennen. Die Wortmeldungen reichen vom „Öffnen der Urne ohne Aufsicht“ bis zum „Terroranschlag auf die Wähler“.

Überhaupt sei Terrorismus die wichtigste Realität bei diesen Wahlen, meldet sich ein Teilnehmer zu Wort. Sofort entspinnt sich eine Debatte über die Definition von „Terror“ und „Widerstand gegen die Besatzung“ und darüber, was die Wähler mehr einschüchtert: die Anschläge oder die Anwesenheit ausländischer Truppen.

Die 20 Wahlbeobachter geben einen guten Querschnitt der irakischen Wähler ab. Dackweiler, der schon Wahlen in Bosnien, Kosovo, Kambodscha und Indonesien beobachtet hat, bleibt ruhig: „Die einen mögen die ausländischen Truppen als einschüchternd, die andern als Schutz ansehen. Tatsache ist, dass es ohne sie keine Wahlen gäbe.“

Nach dem Mittagessen, die Gemüter haben sich wieder abgekühlt, wird als Höhepunkt der Ausbildung die Attrappe eines Wahllokals aufgebaut. Die Wahlbeobachter teilen sich auf: Einige überwachen als Mitglieder der Wahlkommission den Prozess im Wahllokal und an der Urne, ein paar üben sich in ihrer Funktion als Beobachter, und draußen vor der Tür steht der Großteil als Wähler. Zur Auswahl stehen „Die Partei der wunderbaren Ideen“, die Liste „Irak ohne Grenzen“, die „Partei für glückliche Menschen“ und eine Gruppierung, die für mehr Sonne im Irak eintritt.

Gleich zu Beginn macht sich Verwunderung breit. Ob nicht zusätzlich ein Richter zur Überwachung der Urnen anwesend sein sollte, fragt eine Teilnehmerin. „Was glaubt ihr?“, fragt Dackweiler die Runde. „Selbstverständlich“, lautet die fast einhellige Antwort. Der deutsche Ausbilder kontert, indem er reihum fragt, wer in der Gruppe kein Richter oder Anwalt sei. Ein Lehrer, ein Fußballtrainer und der Chef einer Fabrik melden sich. „Ist euer Urteil über die Wahlen weniger wert als das eines Richters?“, fragt der deutsche Ausbilder. Stille. „Ihr seid die neue irakische Zivilgesellschaft und damit verantwortlich für die Wahl. Eure Pflicht ist es, diese Aufgabe gut zu meistern“, ergänzt er. Es sei vollkommen egal, ob der Beobachter Anwalt oder Bauer sei. Beide könnten über Regelverstöße berichten, die dann von irakischen Gerichten geprüft werden müssten. Der 42-Jährige kann es sich nicht verkneifen, einen kleinen Seitenhieb auf früher auszuteilen: „Saddams Wahlen wurden immer von der Anwesenheit irakischer Richter legitimiert. Solltet ihr nicht unzufrieden mit diesen Richtern sein?“ Erneut macht sich Schweigen unter den Teilnehmern breit.

Schließlich beginnt die Wahl und damit ein neuer Dissens. Ein Wähler besteht darauf, seinen Wahlzettel ungefaltet in die Urne zu werfen, wie es bei den 100-Prozent-Wahlen unter Saddam üblich war, als die Wähler sicherheitshalber ihr Kreuzchen beim „Ja“ unter dem Namen des Präsidenten allen Offiziellen im Wahllokal unter die Nase hielten. Dackweiler reagiert mit einem Satz, den er an diesem Tag noch öfters wiederholen wird: „Diese Zeiten sind vorbei.“

„Irak ohne Grenzen“ siegt

Am Ende bricht bei der irakischen Scheinwahl in Amman Chaos aus. Der unabhängige Wahlbeobachter mischt sich trotz vorheriger Schulung ständig ein, mit dem Argument, er wolle nur helfen, und bei der Auszählung kommen plötzlich 124 Wahlzettel zum Vorschein, obwohl nur 118 Wähler registriert waren. Nach mehrmaliger Prüfung wird schließlich die Partei „Irak ohne Grenzen“ zum Sieger erklärt.

Stressiger als erwartet, lautet anschließend das Fazit der meisten Teilnehmer. Was bleibt, ist die Angst vor Anschlägen am Wahltag, auch wenn der 24-jährige schiitische Chemiker Ahmad aus Amriya erklärt, er wäre nicht hier, wenn er welche hätte.

„Natürlich habe ich Angst“, gibt dagegen die 27-jährige schiitische Anwältin Wasal aus Bagdad zu, „aber wer nicht wählen geht, der stimmt für die Fortsetzung von Angst und Gewalt.“ Ihr kurdischer Kollege Salah gibt sich gelassen. Die Kurden seien doch die Einzigen mit einer richtigen Wahlerfahrung, sagt er. Er selbst würde am Sonntag am liebsten für eine kurdische Unabhängigkeit stimmen.

Und dann ist da der 51-jährige Othman aus Amriya, der einzige Sunnit der Gruppe, der als Richter bereits Saddam-Wahlen zu „überwachen“ hatte. „Der damalige Wahlprozess verlief reibungslos, wenngleich die Wahlen selbst inhaltslos waren, weil das Ergebnis im Voraus bekannt war“, erinnert er sich. „Diesmal werden die Wahlen vor Inhalt überquellen, aber der Wahlprozess wird alles andere als reibungslos verlaufen.“