Mundgeruch und Massenbetrug

Die Welt der Pfeifen. Elf goldene Wahrheit-Regeln gegen die Schiedsrichter-Krise

Auf dem Rasen bist du Gott. Deshalb dulde keine anderen Götter neben dir

Der Fußballschiedsrichter: gestikulierend wie ein Fluglotse auf LSD, die Backen aufgeblasen zum finalen, oft millionenschweren Pfiff, wirft er die Beine, die meist viel zu dünn aus kurzen Hosen ragen, über den Rasen, stets auf Ballhöhe, aber selten im Bilde. Und jetzt soll er auch noch bestechlich sein. Kein Wunder, dass das Sozialprestige dieser Kaste nie so recht über den Status der „Bratwurst“ und „schwarzen Sau“ hinausgekommen ist. Spieltag für Spieltag wird er verflucht, bespuckt und – in unzivilisierten Gegenden – auch schon mal mit dem Revolver bedroht. Die Wahrheit präsentiert elf goldene Regeln, wie man die Schiedsrichterei trotzdem in Würde überlebt:

1. Du bist klein oder unansehnlich? Du wirst im Büro gemobbt? Du hast Mundgeruch und zu Hause nicht viel zu melden? Vergiss es. Auf dem Rasen bist du Gott. Deshalb dulde keine anderen Götter neben dir. Egal ob sie Zidane, Beckham, Rehakles, Totti, Töppi oder Johannes Baptist Kerner heißen. Denn der Schiedsrichter ist wie der Dirigent: „Er gibt an, was geschieht, durch das Gebot seiner Hand.“ Solange das Spiel dauert, „ist er der Herrscher der Welt“ (Elias Canetti).

2. Hüte dich aber vor den Versuchungen der göttlichen Vorsehung. Denn Gott sieht alles, aber „er wettet nicht“ (Albert Einstein). Schon gar nicht auf Pokalspiele wie Paderborn gegen den HSV, dessen überraschender Ausgang gleich durch drei schiedsrichterliche Wunder wie zwei Strafstöße und eine Herausstellung abgesichert werden musste.

3. Fehlt dir für Regel Nr. 1 das Format, benimm dich einfach wie Henry Fonda alias Wyatt Earp („My Darling Clementine“). Also wie ein Mensch, „dem oft Übermenschliches aufgegeben ist … der nichts Besonderes sein will, der lebt wie die anderen, nur gefährlicher und glanzvoller“ (Roloff/Seeßlen: „Der Western“). Dafür spricht: Dass der Westerner wie der Schiedsrichter die Mission hat, „Gesetz und Ordnung zu bringen“, aber er ist dabei, abgesehen von seinem treuen Ross, ganz allein auf sich gestellt. Du hast nicht mal ein Pferd, dafür aber zwei Linesmen und eine Pfeife.

4. Sei keine Pfeife. Aber wenn du sie benutzt, tue es beherzt und unmissverständlich. Es gibt sie mit und ohne Kugel, aus Bakelit oder Metall. Der Altinternationale Dieter Pauly bevorzugte „eine französische Polizeipfeife aus Metall, die auch vom Mundstück her sehr angenehm ist. Sie hat in den Ohren einen außerordentlich durchdringenden Pfeifton und kann auch in der Hitze des Gefechtes nicht zerbissen werden.“

5. Lass Milde walten. Denn deine ärgsten Feinde sind nicht der Wadenbrecher, der gemeine Elferschinder oder die „Hand Gottes“ (Maradona). Sie lauern im Zeitalter kompletter technischer Überwachung in den Ü-Wagen von ARDZDFDSFRTLSAT1. Ihre Knechte analysieren jede Entscheidung im Jargon unwiderlegbarer Eigentlichkeit. Dutzendfach in Slowmotion wiederholt, bleibt die Wahrheit hinter den Bildern trotzdem oft unergründlich. Das ist, um mit Berti Vogts und Adorno zu reden, „kein Sport mehr“, sondern „Aufklärung als Massenbetrug“. Deshalb lobpreise …

6. … die Tatsachenentscheidung. Technische Neuerungen wie der Videobeweis, die akustische Torlinienüberwachung oder der digitale Chip im Ball sind Ketzerei. Sie machen dich klein und hässlich. Bald nach ihrer Einführung wirst du gemobbt werden, bekommst Mundgeruch und hast zu Hause noch weniger zu melden.

7. Kommt dir nach einer groben Fehlentscheidung die Qualitätspresse dumm, zitiere den Philosophen Gadamer: „Die eigenen Begriffe bei der Auslegung vermeiden zu wollen“, sei nicht nur „nicht möglich, sondern offenbarer Widersinn.“ Kommt dir die Bild dumm, zitiere René Descartes: „Ich pfeife, also bin ich.“

8. Mach es kurz (gilt vor allem für weibliche Anwärter). Mit Namensungetümen wie Annette von Droste Hülshoff oder Oda-Gebbine Holze-Stäblein wird man Schriftstellerin oder Landessuperintendentin in Nordelbien, aber kein Schiedsrichter. Die heißen Merck, Berg, Koop, Zerr oder Wack. Dardenne, Malbranc oder Kemmling sind das Äußerste, was der DFB an lyrischer Mehrsilbigkeit toleriert.

9. Vergiss nie, deinen Nebenverdienst beim Finanzamt zu melden. Pro Bundesligaspiel sind das (nur zur Erinnerung) 3.050 Euro zuzüglich Fahrt- und Übernachtungskosten.

10. Du bist homosexuell ? Pfeif beim Damenhandball. Oder oute dich erst nach dem Rücktritt von DFB-Präsident Gerhard Meyer-Vorfelder.

11. Will man dich bestechen, mach es wie Gerd Schulenburg. Als man ihn in der Pause eines Europacup-Spiels fragte, „was es denn koste, wenn …“, wies er dem Verführer mit den Worten: „So viel hat ihr Verein gar nicht“, die Tür. Fand Schulenburg vor dem Spiel im Hotelzimmer eine goldene Uhr, band er sie um und sagte: „Dankeschön“, nahm sich aber vor: „Jetzt erst Recht ’ne gute Leistung.“ MICHAEL QUAST-

HOFF, DIETRICH ZUR NEDDEN