Die Horde wird zur Mannschaft

Nach einer überzeugenden Leistung beim 27:27 gegen Norwegen stehen die deutschen Handballer bei der Weltmeisterschaft bereits in der Zwischenrunde und können gelassen ins heutige letzte Vorrundenspiel gegen Serbien und Montenegro gehen

AUS SOUSSE FRANK KETTERER

Pressekonferenzen geraten bei dieser Handballweltmeisterschaft in Tunesien bisweilen zu lustigen Zwischenspielen. Am Kopfende des kleinen, kalten Saals in den Katakomben des Salle Olympique, in den sich manchmal bis zu 100 Journalisten quetschen, sitzt zum Beispiel Heiner Brand, der Bundestrainer, und sagt irgendetwas Erhellendes über das gerade zu Ende gegangene Spiel. Ein erster Dolmetscher übersetzt die Brand-Rede ins Arabische, was leider nicht weiter überprüfbar ist; ein zweiter lässt schließlich die englische Version folgen. Danach trägt es sich nicht selten zu, dass die Journalisten in dem kleinen, kalten Saal, zumindest die deutschen, sich nur noch verwundert anschauen, bevor sie sich entschließen, über das, was aus Brands Worten in der Zwischenzeit geworden ist, herzhaft zu lachen. Ein bisschen ist das wie früher bei der Stillen Post, wo man vorne ja auch nie wissen konnte, was hinten rauskommt. Für den, dessen Worte da übersetzt und somit an die Weltpresse weitergegeben werden, ist es freilich nicht immer amüsant, so falsch verstanden zu werden.

Am späten Donnerstagabend waren Heiner Brand solche Dinge total egal. Der Bundestrainer wollte sich nicht mit Kleinigkeiten aufhalten, wo es doch über Großes zu reden galt. Seine Mannschaft hatte sich schließlich gerade mit 27:27 von den Norwegern getrennt und damit schon vor ihrem heutigen letzten Gruppenspiel gegen Serbien-Montenegro (14 Uhr/ARD) die Zwischenrunde erreicht. Es war eine von beiden Seiten sehr intensiv und engagiert geführte Partie, heiß umkämpft war sie selbstredend – und vielleicht war sich Brand zunächst auch deshalb noch nicht so ganz sicher, ob sein Team nun „einen Punkt gewonnen oder einen verloren hat“. Später, als der offizielle Teil des „Stille Post“-Spiels endlich vorüber war und nur noch die deutsche Journaille eine Traube um den 52-Jährigen bildete, schien Brand auch in diesem Punkt endlich Gewissheit gefunden zu haben. „Sensationell“, brummelte er nun, wie es so seine Art ist, und fand: „Es ist unglaublich, dass man nach so wenigen Trainingseinheiten so geschlossen auftreten kann.“

Das ist es in der Tat. Nur zehnmal hat die nach Rücktritten und verletzungsbedingten Ausfällen umgekrempelte deutsche Mannschaft vor diesem Turnier miteinander geübt, sechsmal zu Testzwecken zusammen gespielt. So schnell baut man im Handball keine neue Mannschaft, selbst Brand kann das nicht. Entsprechend geknirscht hatte es in den ersten drei Turnierspielen, auch wenn diese gewonnen wurden. Das Unentschieden gegen Norwegen aber war mehr wert als ein Sieg, viel mehr – und vielleicht werden sie eines Tages, in ein paar Jahren, auf dieses Spiel zurückblicken und feststellen: Das war die Geburt einer neuen deutschen Handballmannschaft.

Noch kann man das natürlich nicht mit Bestimmtheit sagen. Sagen kann man aber, dass es durchaus Beobachter gab, die der neu formierten deutschen Mannschaft eine solche Leistung nie und nimmer zugetraut hätten. Und auch für Horst Bredemeier, den Vizepräsidenten des Deutschen Handballbundes (DHB), hatte das Spiel sofort nach Abpfiff einen „ganz hohen Stellenwert“ gewonnen. „Die Mannschaft hat ihr zukünftiges Leistungsvermögen angedeutet.“

Im Prinzip war das Team nicht wieder zu erkennen, jeder Einzelne hatte sich gesteigert und damit die Qualität der gesamten Mannschaft auf ein neues Niveau gehoben. Hinten im Tor fischte Johannes Bitter die Bälle weg, dass es eine wahre Freude war, davor bildeten Frank von Behren und Oliver Roggisch einen Mittelblock, der in puncto Unüberwindbarkeit dem Duo Zerbe/Petersen schon sehr nahe kam, was so ziemlich das größte Kompliment ist, das man einer Abwehr im Handball machen kann. Und selbst im Angriff lief es diesmal ungewöhnlich gut. Vor allem Oleg Velyky, der eingebürgerte Ukrainer, scheint langsam aufzutauen und steuerte 8 der 27 Tore bei; auch der zuletzt ausgelaugt wirkende Christian Zeitz präsentierte sich wie runderneuert.

„Der eine weiß langsam, wo der andere hinläuft“, fasste Mannschaftskapitän Florian Kehrmann die Qualitätssteigerung zusammen, und die schlechteste Erkenntnis ist das ganz bestimmt nicht. Zumal sie von einer Kampfkraft und Leidenschaft flankiert war, die nicht nur Christian Zeitz als „bärenstark“ einstufte. Gerade in brenzligen Situationen zeigte das Team das, was eine Horde Handballer zur Mannschaft werden lässt: Charakter.

Die Mannschaft hat, darin waren sich alle einig, mit dem Remis gegen Norwegen ihre Reifeprüfung nicht nur abgelegt, sondern sie mit Auszeichnung bestanden, auch wenn die Spieler selbst das so pathetisch gar nicht formuliert wissen wollten. „Wir haben die Pflicht erfüllt und vielleicht noch ein bisschen mehr“, fand Florian Kehrmann, damit sei dann aber auch genug des Guten. Zumal es nun gelte, die Leistung vom Donnerstag zu stabilisieren, schließlich geht die Reise bei dieser WM weiter, ab Montag warten in der Zwischenrunde in Nabeul die Handball-Großmächte Schweden, Spanien und Kroatien auf die jungen Deutschen. „Diese Spiele können für die Entwicklung der Mannschaft nur gut sein“, findet DHB-Vize Bredemeier.

Heiner Brand sagt dazu noch gar nichts. Der Bundestrainer hat es sich lange schon zur Gewohnheit gemacht, nur von Spiel zu Spiel zu denken. Auch wenn seine Mannschaft heute gegen Serbien-Montenegro ohne großen Druck aufspielen kann, geht es doch darum, möglichst viele Punkte für die Zwischenrunde zu sammeln. „Wir werden noch mal voll angreifen“, hat Heiner Brand gesagt.