Trauer der Aufrichtigen in Peking

Heute wird der frühere chinesische Parteichef Zhao Ziyang beigesetzt. Der so genannten Abschiedszeremonie dürfen nur handverlesene Gäste beiwohnen

PEKING taz ■ Vermutlich in klirrender Kälte werden heute einige hundert Menschen vor dem Babaoshan-Friedhof im Zentrum Pekings stehen und warten, dass man ihre Einladungskarte kontrolliert, eine Kamera des Staatssicherheitsdienst sie filmt und sie dann ein kleines Zelt besuchen dürfen, in dem der Leichnam des früheren kommunistischen Parteichefs Zhao Ziyang aufgebahrt sein wird. Keine offizielle Begräbnisfeier wird es geben, aber eine „Abschiedsezemonie“, zu der etwa tausend Gäste geladen sind. Das ist der Kompromiss, den die Familie Zhaos nach seinem Tod vor zwölf Tagen mit der KP-Spitze ausgehandelt hat.

Die Liste der Trauergäste wird eine Aufstellung der Aufrichtigen sein – von Kommunisten, die es auch heute noch wagen, zu einem Parteichef zu stehen, der im Jahr der Revolte 1989 auf die Seite der Studenten wechselte. Ihrer damaligen Kritik an Korruption und Misswirtschaft in der Partei stimmte Zhao zu, als er im Mai 1989 eine gewaltsame Niederschlagung des Aufstands im Politbüro zurückwies und im Anschluss an seine Abstimmungsniederlage selbst auf die Straße ging, um die Studenten von dem Beschluss zu informieren.

Seit diesem Tag stand Zhao unter Hausarrest der Partei. Keine Zeitung in China druckte je wieder ein Wort über ihn. Doch seiner Partei flößte er weiter Angst ein, denn sein Tod – so fürchteten die Nachfolger – könnte wieder Proteste auslösen.

Heute aber werden Unruhen nicht mehr erwartet. Die Trauergäste sind sorgfältig gefiltert, und wer, wie sein ehemaliger Sekretär Bao Tong, bis dato allzu sehr für die Ziele der damaligen Revolte eintritt, ist von der Beisetzung ausgeschlossen. Das gilt auch für mutmaßliche Dissidenten und Angehörige der Opfer des Tiananmen-Massakers, bei dem in Folge der Parteientscheidung am 4. Juni 1989 mehrere hundert, wenn nicht tausende von Menschen von der Volksarmee getötet wurden.

Dabei sein aber dürfen heute eine Reihe älterer Parteimitglieder, die Zhao in den 80er-Jahren in hohen Positionen dienten. Ebenso die Mutter des im US-Exil lebenden Ex-Studentenführers Wang Dan. Unwahrscheinlich ist, dass Mitglieder der derzeitigen Partei- und Regierungsführung Zhao die letzte Ehre erweisen, gleichwohl er viele von ihnen in den 80er-Jahren förderte – allen voran den heutigen Premierminister Wen Jiabao.

Zhaos Dahinscheiden ist bis heute nur wenigen Chinesen bewusst. In Radio und Fernsehen gab es keine Nachricht, nur wenige Zeitungen druckten eine Kurzmeldung. Sogar an der Peking-Universität, von der die Revolte 1989 ausging, nahmen viele Studenten kaum Notiz.

Die wenigen, die in den letzten Tagen sein Haus aufsuchten, mussten mit Verhören und vorübergehenden Verhaftungen rechnen. Sollte morgen die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua einen zwischen Partei und Familie ausgehandelten Lebenslauf verbreiten, werden alle kniffligen Passagen von 1989 getilgt sein. Trotz zahlreicher Würdigungen Zhaos im Ausland scheint seine Entfernung aus dem öffentlichen Bewusstsein Chinas ziemlich komplett – außer die Trauergäste schaffen es heute doch noch, Aufmerksamkeit zu erregen. GEORG BLUME