An den Gescheiterten gescheitert

VON BRIGITTE WERNEBURG

Im ersten Raum hat Olaf Metzel unauffällig aus Beton-Hohlformen eine zweite Mauer vor die Wand gestellt. „Tegeler Weg“ (1984/2005) heißt die Arbeit, ihr gegenüber hängt Vostells Ensemble „Yuste“ (1975): eine Fotografie des Bundestags, übergossen mit einer Bleifolie, an einer Schnur baumelt ein Brikett. Auf Podesten stehen im nächsten Raum Thomas Schüttes „Ferienhaus für Terroristen I“ und „Ferienhaus für Terroristen II + III“. Sie erinnern mit ihrem spitz zulaufenden Bug, dem stumpfen Heck und der Haifischflosse auf dem Dach an Schiffskörper. Der Tegler Weg erinnert – lang ist’s her – an den Prozess gegen die Kommune I und das Flugblatt „burn, warehouse, burn“, und gewiss kann auch der Bundestag brennen. Die Ferienhäuser jedoch geben eher Rätsel auf, anstatt über die Herausforderung aufzuklären, die den Terrorismus zum Motiv der Kunst werden lässt.

Avantgarde? – der reine Stil

Mag sein, dass auch Terroristen mal Ferien machen. Die politische oder auch juristische Auseinandersetzung mit der Roten Arme Fraktion jedenfalls hat seit geraumer Zeit Pause. Ganz andere Terroristen beschäftigen die Regierung und den ehemaligen RAF-Verteidiger Otto Schily, der heute Innenminister ist. Dass die RAF in jeder Hinsicht gescheitert ist, braucht niemand zu diskutieren, gleichwohl aber sorgte das Projekt dieser Ausstellung, die seit heute in den Kunst-Werken in Berlin-Mitte zu sehen ist, für Debatten. Dem Anschein nach für politische, im Kern jedoch waren sie wohl eher ein Reflex auf die immer noch nicht bewältigte Vergangenheit des linken Terrorismus in Westdeutschland. Schüttes elegante Ferienhäuser könnten nun die Kritik derjenigen bestätigen, die den Kunst-Werken 2003 das schon bewilligte Geld wieder entzogen, weil sie befürchteten, die Schau gebe dem „Mythos RAF“ neue Nahrung. Tatsächlich stand die Ausstellung einst unter diesem Arbeitstitel. Eine erneute Finanzierungszusage wurde an eine Modifikation des Konzepts gebunden und an ein politpädagogisches Beiprogramm der Bundeszentrale für Politische Bildung (das natürlich das Hauptprogramm geworden wäre). Anders dürfe die Kunst zum Thema RAF nicht sprechen.

Klugerweise entzogen sich die Kunst-Werke der vom Kanzleramt über die Kulturstaatsministerin angeordneten Fürsorglichkeit und verzichteten auf das Geld. Eine Versteigerung von Arbeiten renommierter Künstler brachte dem Ideengeber des Projekts, Klaus Biesenbach, und den Kuratoren Ellen Blumenstein und Felix Ensslin die nötigen Mittel ein. Die Platzierung von Schüttes Arbeit gleich zu Beginn der Ausstellung ist im Hinblick auf diese Vorgeschichte konsequent. Denn eines ist seine Arbeit gewiss: die Absage an ein beispielhaftes, kritisches Potenzial der Kunst.

Dieses Potenzial, das die Kritiker als Legitimationsausweis der Ausstellung fordern, entzieht sich den Möglichkeiten der Kunst. Das wird von Anfang an klar. Und am deutlichsten mit „avantgarde“ (2000/2004), der Arbeit des Niederländers Theo Ligthart. In den Schriften der RAF taucht der Begriff vielfach auf und so hat Ligthart entsprechende Textstellen abgemalt und mit Ausschnitten ebenfalls abgemalter Werbefotografien aus dem Hause DaimlerChrysler montiert. Für den Autobauer bezeichnet der Begriff „Avantgarde“ ein Ensemble aus Luxusinterieur und sportlich abgestimmtem Fahrwerk. Avantgarde, der Begriff, der die Kunst einst ermächtigte, ihren Elfenbeinturm zu verlassen, um im Leben aufzugehen und dieses im Sinne eines ästhetischen Fortschritts zu revolutionieren, der den gesellschaftlichen nach sich ziehe – dieser Begriff der Avantgarde, der die Kunst für den so genannten Heroismus der Tat empfänglich machte und damit die Verbindung zur RAF schlägt, ist nur noch ein Stilbegriff. Diese Entwicklung ist nicht mehr zu hintergehen.

Statement der Kuratoren

Vielleicht wurde deshalb die Geschichte der RAF zuletzt nur noch im Medium des Stils aktuell. Der Antwerpener Designer Dirk Schönberger stellte für seine Modeschau 2001 einen Reisepass mit dem Konterfei von Andreas Baader aus. T-Shirts mit dem Schriftzug „Prada-Meinhof“ sorgten – mehr in den Medien als auf der Straße – für Furore und die Life-Style-Magazine sahen die Zeit reif für „RAF-Popstars“. Man muss vermuten, dass sich die Idee zur RAF-Ausstellung dieser Zeit verdankt, als auch im Kino Christopher Roths „Baader“ vor allem auf revolutionäre Sportwagen scharf war. Warum also nicht einmal versuchen, einen Überblick darüber zu gewinnen, wie die RAF in der zeitgenössischen Kunst seit 1970 auftaucht? Wo dockt die Kunst an und wie dockt sie an, und das in Arbeiten, die alle schon öffentlich gezeigt wurden?

Dass nun Hans-Peter Feldmanns Serie „Die Toten 1967–1993“ im Zentrum der Schau steht, ist ein Statement der Ausstellungsmacher. In einem eigenen Raum im Innern der großen Ausstellungshalle hängen auf Augenhöhe über hundert Fotografien, die anhand von Pass-, Fahndungs-, Tatort- und Erinnerungsfotos entstanden. Die Reihe zeigt die Menschen, die bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen während der Studentenbewegung, des deutschen und des mit ihm verbundenen internationalen Terrors zu Tode kamen. Ihr Tod bringt sie zusammen, die Täter und die Opfer, die ausgewählten und die zufälligen, das macht die äußerst knappe Bildlegende deutlich, die unter dem Porträt nur den Namen und das Todesdatum nennt. Die Verweigerung jeder weiteren Information ist beunruhigend, denn die Reihe taugt so kaum als ein Memento mori, vielmehr erscheint sie als ein absurder Totentanz.

Durch den Aufbau freilich arbeiten die Kuratoren gegen diese von Feldmann provozierte Beunruhigung an. Denn sie umgeben seinen Totentanz mit einer Mediendokumentation aus Fernseh- und Zeitungsnachrichten. Aufklärung über die Toten ist nun in nächster Nähe zu finden. Der abgeschirmte Kubus mutiert zum fast schon sakral anmutenden Gedenkraum. Zweifellos entspricht diese Feierlichkeit dem Anliegen der Ausstellungsmacher. Man glaubt ihnen die Ernsthaftigkeit, mit der sie ihrem Thema begegnen. Die Kunst jedoch, die sie zeigen, spricht eine andere Sprache. Sie lässt sich von den Ereignissen irritieren, sie will sie sicher nicht mystifizieren, kann sich aber auch von der Faszination nicht ganz lösen, um ihre Aura zu zerstören. Am stärksten kommt das in den Werken zum Ausdruck, in denen biografische Momente deutlich werden. Die Generation von Künstlern, die selbst zu den 68ern gehören und Zeitzeugen waren, ist im Vorteil. Mit der Großfotografie eines Polizei-Spezialkommandos kommt in Katharina Sieverdings „Schlachtfeld Deutschland XI“ (1978) der Staat ins Blickfeld, dessen Reaktion und Überreaktion auch Sigmar Polke in „Dr. Bonn“ (1978) und „Sicherheitsverwahrung“ (1978) gewohnt mokant karikiert. Auffällig: Nur diese Künstlergeneration zeigt sich an der Antwort von Politik und Gesellschaft auf den Terror interessiert.

Grenzen der Kunst

Andere, vor allem jüngere, richten ihr Augenmerk vornehmlich auf die Darstellung und Selbstdarstellung der RAF in den Medien. Bettina Allamodas zweifache Diaprojektion „Vom Happening zum Deutschen Herbst“ (1992/2005) ist eine Rückerinnerung an ihre mediale Kindheitssozialisation, in der sich die Bilder von APO, Pop, Politik, RAF, Kultur und Kommerz zu einem assoziativen stream of consciousness zusammenfügen, zu schnellen Montagen, in denen Roxy Music und deren Fan Baader auf Joseph Beuys treffen, der mit der Installation „Dürer, ich führe persönlich Baader + Meinhof durch die Dokumenta V“ (1972) dem Terror therapeutisch begegnen wollte. Wenige Schritte zuvor begegnet man schon Beuys’ Originalarbeit.

In ihrem Kaleidoskop trifft sich Bettina Allamoda mit Johan Grimonprez' „Dial H-I-S-T-O-R-Y“ (1997) von der documenta X. Am Ende des Parcours, ganz oben unterm Dach, im vierten Stock, läuft die Video-Chronologie, die ein ungeheures Bildmaterial von Flugzeugentführungen, realen, aber auch für den Spielfilm oder Schulungszwecke inszenierten, montiert. Grimonprez' grausige, absurde, aber auch komische Bilder sind ein einziger Abgesang auf die Möglichkeiten der Kunst. Denn wie immer dumm die Äußerung Karlheinz Stockhausens war, als er den Terrorangriff auf das World Trade Center mit Hilfe zweier entführter Flugzeuge das „größte Kunstwerk, das es je gegeben hat“ nannte – der Komponist, der vom Untergang der Avantgarde in Stil nichts mitbekommen hat, sah eines klar: Bilder von vergleichbarer Bedeutung und Wirkung sind jenseits der Möglichkeiten der Kunst.

Da ist aufschlussreich, dass Gerhard Richter einmal bemerkte, er habe seine berühmte Bilderserie zum 18. Oktober gemacht, um dem eigenen Bedeutungsverlust als Künstler zu begegnen. Über den Versuch, das eigene Werk anhand des behandelten, kontroversen Gegenstands mit Bedeutung aufzuladen, muss im Bereich der Kunst gesprochen werden. Vielleicht liegt ja hier der Schlüssel zu Schüttes Ferienhäusern? Richter jedenfalls gelang mit dem 18. Oktober eine Setzung. Ulrike Meinhofs jugendliches Porträt ist längst zu seinem Bild geworden. In den Kunst-Werken sind jetzt die neun Tafeln zu sehen, auf denen er Teile der langen Vorarbeiten zu seinem Zyklus noch einmal in seinem „Atlas“, dem fortlaufenden Kompendium von Bildquellen und Projektskizzen, zusammenführte. Die Unschärfe der Fotos ist extrem und es scheint, als imitiere hier die Fotografie die Kunst, die nun die Vorgaben macht. Die Kunst wird wieder stark, freilich nicht im Sinne einer für die Aufarbeitung der Geschichte der RAF irgendwie verwendbaren Nützlichkeit. Es geht ihr einmal mehr um sich selbst, und vielleicht meint man deshalb bei den interessantesten Arbeiten der Ausstellung, sie seien im Kontext des Werkes des jeweiligen Künstlers womöglich aufschlussreicher als im Kontext der „Vorstellung des Terrors“.

Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-AusstellungKW Institute for Contemporary Art,Auguststraße 69, Berlin, 30. Januar bis 16. Mai 2005 www.kw-berlin.de