Die letzte Patrone im Lauf

Der VfL Bochum übt bei der 0:4-Niederlage gegen solide Leverkusen schon einmal das Absteigen. Die Mannschaft wirkt desolat, der Trainer hilflos, die Fans sind sauer. Endspiel gegen Bielefeld

AUS LEVERKUSENHOLGER PAULER

Dariusz Wosz war der einsamste Mensch in der BayArena. Der Bochumer Kapitän und Spielmacher wurde von Trainer Peter Neururer in Leverkusen auf die Bank gesetzt. Begründung: Unter der Woche hätte er Trainer und Mitspieler über Gebühr kritisiert. Besonders die rechte Seite des VfL, mit dem schwächelnden Dänenduo Peter Madsen und Sören Colding, bekam den Frust des Kapitäns zu spüren. Das ging zu weit. Während der gesamten zweiten Hälfte des Leverkusen-Spieles durfte Wosz sich mit seinen Kollegen warm laufen – für einen Einsatz, der nicht mehr kam. Zu diesem Zeitpunkt lagen die abstiegsbedrohten Bochumer bereits 0:2 zurück. Und als in der 78. Minute der Ex-Bochumer Paul Freier das 4:0 erzielte wurde es Wosz zu bunt und er schlenderte langsam zur Spielerbank zurück. Dort blieb er stehen, allein und unbeachtet, den Kopf nach unten gesenkt – erst 10 Minuten nach Abpfiff verließ Wosz den Innenraum.

Während dessen versuchten die Bochumer Verantwortlichen das eben Geschehene in Worte zu fassen. „Wenn Trojan in der 25. Minute die Führung erzielt, geht das Spiel vielleicht ganz anders aus“, sagte VfL-Vorstand Dieter Meinhold nach dem Spiel. Nun, Trojan setzte den Ball aus zwei Metern drüber. Fast im Gegenzug traf Jacek Krzynowek zum 1:0. Beim VfL brachen darauf hin alle Dämme. „Dies war grundlegende Versagensangst“, sagte Peter Neururer. Das Verhalten seines Teams vor dem Gegentreffer sei aber okay gewesen. „Wir haben 28 Minuten das Spiel kontrolliert“, so Neururer. Ein in dieser Saison oft, zu oft gehörter Satz. Ersatzkapitän Thomas Zdebel wollte die Einschätzung seines Trainers nicht teilen: „Das war armselig“, schimpfte Zdebel, „ich habe keinen Bock mehr über unsere ordentlichen Anfangsphasen zu reden. Wir picken uns nach jedem Spiel die besten Minuten raus und feiern uns noch. “

Das Auftreten des Teams war ähnlich hilflos wie das des Trainers. Symptomatisch das dritte Gegentor. Der überforderte Marcel Maltritz schoss im eigenen Strafraum den Leverkusener Robson Ponte an, von dessen Schienbein trudelte der Ball langsam ins Tor. „Was wir gezeigt haben, war nicht bundesligatauglich. So kann es nicht weitergehen“, sagte Christian Vander nach seinem zweiten Spiel als Stammtorhüter. An den Toren war er machtlos, später verhinderte er eine höhere Niederlage.

Die Bochumer Fans schienen Vanders Eindruck zu teilen. Während des Spiels reagierten sie mit Rufen wie: „Absteiger“ und „Wir sind hier, wo seid ihr“. Die Mannschaft zog es nach dem Spiel vor, nicht zu den Fans zu gehen. Die Argumente wären vermutlich zu schlecht gewesen. Etwa 150 Hartgesottene warteten 20 Minuten nach Abpfiff auf Peter Neururer. Der Trainer kam. Nach einigen Minuten heftiger Wortgefechte verließ Neururer die aufgebrachten Fans. „Hau ab“ und „Neururer Raus“ riefen sie ihm hinterher. Gesänge, die sich in der Bochumer Vereinsgeschichte bislang nur der unbeliebte Holger Osieck anhören durfte. Ein Schlag in die Magengegend für den Mann, den die Fans im vergangenen Jahr noch regelmäßig zum Uefa-Cup-Tanz aufforderten. „Um meinen Job mache ich mir keine Gedanken, es geht doch nicht um mich“, meinte Neururer trotzig. Und auch der Aufsichtratsvorsitzende und „Präsident“ (Neururer) Werner Altegoer wollte eine Entlassung nicht thematisieren.

Die Leistung der Bochumer war umso bitterer, als die Leverkusener nicht unbedingt überragend auftraten. „Am Ende bleibt das Ergebnis haften“, sagte Bayer-Trainer Klaus Augenthaler. Zwischenzeitlich konnten die Leverkusener in Bayern-Manier das Ergebnis locker verwalten. Augenthaler freute sich über das teildisziplinierte Auftreten seines Teams und über vier verschiedene Torschützen – zu denen übrigens nicht Topscorer Dimitar Berbatov gehörte. Der Bulgare sorgte allerdings schon vor dem Spiel für lautstarken Jubel, als Sportdirektor Rudi Völler in bewährter SED-Manier dessen Vertragsverlängerung verkündete: „Liebe Freunde von Bayer Leverkusen, wir können ihnen mitteilen, dass Dimtar Berbatov heute seinen Vertrag bis zum Jahr 2009 verlängert hat.“ Hurra, Hurra, Hurra!

Und wie geht es beim VfL weiter? Nächste Woche gegen Arminia Bielefeld kommt es zum „Endspiel“, wie Peter Neururer anmerkte: „Gegen wen sollen wir sonst noch gewinnen?“ Ein neuerliches Ultimatum. Nach der Niederlage im vergangenen November in Mainz hatte Neururer sich erstmals in Frage gestellt. Damals sagte er, er habe als Trainer drei Patronen zur Verfügung, und die zweite sei jetzt abgeschossen. Vielleicht waren ja ein paar Platzpatronen dabei.