„Wir sind keine religiöse Sekte“

Hans Hasselmann

„Es geht nicht, dass ein Freimaurer versucht, Fische zu fangen, indem er für die Freimaurerei wirbt. Bei uns gibt es den Begriff des Suchenden, und wir warten ab, bis die Menschen den Weg zu uns finden“

35 Jahre lang hat Hans Hasselmann als Baumeister kirchliche Baumaßnahmen geleitet; sein bekanntestes Werk ist der Erhaltungsbau an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Hasselmann ist aber auch Freimaurer und „zugeordneter National-Großmeister“ der „Großen National-Mutterloge Zu den drei Weltkugeln“. Sie wurde 1740 von Friedrich dem Großen in Berlin gegründet. Mit Gleichgesinnten bemüht sich der 64-Jährige in einer Jugendstilvilla in der Heerstraße 28 um Toleranz und Brüderlichkeit. Insgesamt gibt es rund 14.500 Freimaurer in Deutschland

INTERVIEW Tom Wolf

taz: Herr Hasselmann, was ist Freimaurerei?

Hans Hasselmann: Auf diese Frage gibt es mehrere Millionen Antworten.

Eine genügt.

Nun ja, jeder Freimaurer auf der Welt wird Ihnen da eine andere persönliche Erklärung geben, denn Freimaurerei ist nicht dogmatisch. Es gibt nur eine ganz allgemeine gemeinsame Lebensphilosophie, die dazu beitragen soll, dass jeder Freimaurer ein ausgeglichener Mensch und damit unsere Welt ein wenig menschlicher wird. Als Brüder Freimaurer treffen wir uns regelmäßig in unserem Tempel, um nach einer Art Liturgie, wenn Sie so wollen, Gedanken auszutauschen. Eine Art Referat wird gehalten und dann darüber gesprochen. Das geistige Arbeiten an uns selbst nennen wir dabei „die Arbeit am rauen Stein“.

Das klingt beinahe nach einem Uni-Seminar.

Es ist eher ein intensives gegenseitiges geistiges Befruchten. Das Gemeinschaftserleben ist sehr wichtig.

Der Freimaurerbund will nicht Geheimbund heißen – wie dann?

Wir nennen uns lieber eine gedeckte oder geschlossene Gesellschaft. Denn wir haben keine geheimen Wahrheiten und sind auch keine religiöse Sekte.

Freimaurer streben nach den aufklärerischen Idealen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Was hilft Abgeschottetheit dabei?

Sie haben vollkommen Recht. Alle Menschen sollten nach diesen Zielen streben. In unserem kleinen Kreis setzen wir das natürlich viel intensiver um. Wenn hier die Türen des Tempels zugehen, bleibt die normale Welt außen vor. Der Bruder im Tempel empfindet eine Geborgenheit und Anteilnahme, die er sonst nicht hat.

Seit wann sind Sie Freimaurer und wie kam es dazu?

Seit 27 Jahren. Ich habe gut dreieinhalb Jahrzehnte als Architekt für die Landeskirche in Berlin gebaut. In meinem beruflichen Umfeld und im privaten Freundeskreis gab es etliche Mitglieder von Freimaurerlogen, die mich sehr neugierig gemacht haben. Als einem Architekten der heutigen Zeit kam mir diese Sache äußerst interessant vor.

Was hat Sie genau gereizt?

Als ich dem Bund noch nicht beigetreten war, habe ich neidvoll den stets auffallend liebevollen und brüderlichen Umgang beobachtet, den die Freimaurer untereinander pflegten. Die ersten Freimaurer in England arbeiteten ja auch in den Dombauhütten; das waren echte Maurer und Baumeister, die über ihre Arbeit hinaus noch einen ethischen Anspruch an sich und ihre Mitmenschen hatten. Gerade bei meinem Beruf, fühlte ich, schließt sich da ein Kreis.

Die Initiative, sich freimaurerisch zu betätigen, ging von Ihnen aus?

Ja. Es geht nicht, dass ein Freimaurer versucht, Fische zu fangen, indem er für die Freimaurerei wirbt. Bei uns gibt es den Begriff des Suchenden, und wir warten ab, bis die Menschen den Weg zu uns finden.

Auch auf die Gefahr hin, dass die Freimaurerei ausstirbt, wenn kein Nachwuchs mehr kommt?

Wissen Sie, ich finde es gar nicht so dramatisch. Es ist jedenfalls nicht dramatischer als in allen anderen humanitären Gesellschaften oder Vereinen oder bei der Kirche. Freimaurerei wird es immer geben. Mir persönlich ist es um die Freimaurerei überhaupt nicht bange, ganz im Gegenteil.

Was bedeutet „Große National-Mutterloge“?

Die einfache Freimaurerloge heißt nach Johannes dem Täufer, dem Schutzpatron der Maurer, „Johannisloge“. Ihre Mitglieder durchlaufen die Erkenntnisgrade des Lehrlings, des Gesellen und des Meisters. Unsere Großloge ist die Dachorganisation von 40 Johannislogen, die über Deutschland verstreut sind. „National“ bedeutet nicht deutschnational. Mit „natio“ bezeichnete man früher einzelne regionale Provinzen des Ordens, zum Beispiel Preußen. Wir nannten uns daher auch altpreußische Logen. Von den fünf in Deutschland tätigen Großlogen wurden übrigens zwei durch die Alliierten nach 1945 gegründet.

„Großmeister“ klingt nach sportlichen Großtaten. Was tun Sie?

Der Großmeister ist, wie ein Meister vom Stuhl, der die Arbeit im Tempel leitet, ein ganz normaler Bruder. Alle demokratisch gewählten Meister vom Stuhl bestimmen für vier Jahre drei National-Großmeister. Der jetzige, „eigentliche“ National-Großmeister ist in Remscheid zu Hause. Ich vertrete ihn in Berlin und im Umland, ein weiterer Bruder in Westdeutschland. Im Osten entstehen erst langsam wieder Logen. Es ist ein repräsentatives Amt, natürlich. Aber ich habe auch jede Menge administrative Aufgaben – das ist geradezu ein Wust an Arbeit.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Jede Loge ist nach dem Vereinsgesetz autonom. Die Großloge, deren Mitglieder allesamt paritätisch gewählt werden, ist den Johannislogen übergeordnet. Hier wird über das freimaurerische Ritual gewacht, das uns sehr wichtig ist. Die Rituale wurden zwar seit dem Gründungsjahr der Loge inhaltlich nicht verändert, aber hin und wieder sprachlich angepasst. Solche Änderungen müssen ausgearbeitet, diskutiert und allen Logen mitgeteilt werden, damit sie sich danach richten können.

Haben Sie Ihre Freimaurer-Mitgliedschaft immer offen gelegt?

Ich hab da nie einen Hehl draus gemacht. Wer mich fragt, hat immer Antwort bekommen. Man rennt natürlich nicht herum und erzählt das jedem. Wer neugierig ist, der sieht das vielleicht an dem kleinen Anstecker am Revers. Wer Bescheid weiß, der sagt dann „aha!“

Wurden Sie jemals schief angesehen, weil Sie Freimaurer sind?

Ich persönlich überhaupt nicht. Gar nicht.

Bei der Kirche hatten Sie auch kein Problem?

Nein, hatte ich nie. Mit der evangelischen Kirche haben wir ohnehin keine Schwierigkeiten. Früher war es ja sogar so, dass Theologen und Superintendenten Hauptstützen der Freimaurerei gewesen sind und hohe Ämter in ihr bekleideten.

Was ist mit den Katholiken? 1983 erklärte Kardinal Ratzinger noch, Mitglied einer Freimaurerloge zu sein, sei eine „schwere Sünde“.

Wir haben kein offizielles Problem mit der katholischen Kirche. Viele Brüder sind katholischen Glaubens. Ich habe in meiner eigenen Loge jemanden, der ist Organist in einer katholischen Kirchengemeinde.

Als Architekt sind Sie modern, vielleicht sogar technokratisch; widerspricht das nicht der romantischen Freimaurerei?

Nein, absolut nicht. Die meisten Brüder sind – übrigens in den unterschiedlichsten Berufen – ebenfalls sehr sachliche Menschen. Beides ergänzt sich.

Haben Sie als Freimaurer anders gebaut als vorher?

Nein. Die Freimaurerei hat mich freilich auch beim Bauen sensibilisiert. Meine Ehrfurcht etwa vor den alten Baumeistern und Steinmetzen ist sehr gewachsen.

Erinnern Sie sich noch an Ihre Aufnahme in den Bund?

Ja. Alle Freimaurer tun das. Es ist das tiefgreifendste emotionale Erlebnis für jeden von uns, von dem er sein ganzes weiteres Leben lang zehrt. Stellen Sie sich vor, Sie heiraten, bis dass der Tod Sie scheidet. Das vergessen Sie in Ihrem Leben mit Sicherheit auch nicht.

Können Sie darüber etwas mehr verraten?

Die Aufnahme in den Freimaurerbund ist ein symbolischer Akt, an dem alle Brüder beteiligt sind. Es ist insofern ein sehr schönes Erlebnis, weil es sehr gefühlsbeladen ist unter Männern. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, das man miterlebt haben muss. Sie können einen Liebesakt, wenn Sie ihn noch nie erlebt haben, sprachlich auch nicht vermittelt bekommen.

Ist dieses Initiationserlebnis der eigentliche Gegenstand der so genannten maurerischen Schweigepflicht?

Ja. Nur das. Einfach, weil es stets falsch interpretiert wird.

Kein Mysterienbund ohne Mysterium. Aber das regt Außenstehende erst recht zum Spekulieren an.

„Als Brüder Freimaurer treffen wir uns regelmäßig in unserem Tempel, um nach einer Art Liturgie Gedanken auszutauschen. Das geistige Arbeiten an uns selbst nennen wir dabei ‚die Arbeit am rauen Stein‘ “

Lessing hat richtig gesagt: „Das Geheimnis der Orden ist’s, kein Geheimnis zu haben.“ Jeder kann sich unsere Vereinsstatuten ansehen, kann zu uns kommen und teilnehmen.

Jeder? Gibt es keine Einschränkungen, was religiöses oder politisches Bekenntnis angeht?

Nein.

Von Extremisten abgesehen?

Das versteht sich von selbst. Die kommen aber auch gar nicht zu uns. Wenn jemand kommt, besucht er mindestens ein Jahr die öffentlichen Veranstaltungen. Da lernt er die Brüder recht gut kennen. Und die Brüder lernen auch diesen Menschen sehr gut kennen und sehen, ob er in ihre verschworene – nicht verschwörerische – Gemeinschaft passt. Ein Mann guten Rufs darf sich etwa keines strafbaren Lebenswandels befleißigen. Er muss schon ein im Leben gestandener und freier Mensch sein. Wenn er nicht zu uns passt, zieht der Gast sich ohnehin zurück.

Was ist mit einem strikten Atheisten?

Der würde niemals Zugang zu unserer Gemeinschaft finden, weil wir in Gott den obersten Baumeister sehen.

Frauen passen auch nicht?

(Lacht) In einen Männerbund natürlich nicht. Es gab ja auch keine weiblichen Mitglieder in mittelalterlichen Dombauhütten. Im 18. Jahrhundert existierten zwar Frauenlogen, so genannte Adoptionslogen, und sogar gemischte Logen. Aber das waren rasch wieder verschwindende Formen. Das andere Geschlecht lenkt bei der freimütigen Selbsterkenntnis ab. Heute sind allerdings wieder sieben Schwestern-Logen im „Bund freimaurerisch arbeitender Frauen“ aktiv. Die Ehefrauen der Brüder werden ins Leben der Bruderschaft einbezogen – bei den Gästeabenden etwa oder bei gemeinsamen Ausflügen und Festen wie dem Rosenfest im Juni, das unseren Frauen gewidmet ist.

Was hat Ihre Frau dazu gesagt, dass Sie Freimaurer sind? Findet sie das gut? Immerhin verbringen Sie viel Zeit mit den Brüdern.

Meine liebe Frau findet das sogar sehr gut. Sie gibt mir gute Denkanstöße, motiviert mich zudem recht häufig und ist mir eine wertvolle Beraterin. Wäre es nicht so, hätte ich nicht die notwendige innere Freiheit!

Was hatte Ihr letzter eigener Vortrag in der Loge zum Thema?

Den hielt ich zum Jahresende am 29. Dezember 2004. Ich sprach über die Westseiten der alten Kirchen und ihre Symboldeutung im freimaurerischen Brauchtum.

Welches Thema beschäftigt Sie momentan am meisten?

Der Wiederaufbau nach der Tsunami-Katastrophe. Über unsere karitativen Organisationen versuchen meine Brüder und ich auch bei solchen Ereignissen zu helfen. Aus unserem Selbstverständnis heraus tun wir das aber in der Regel lautlos.