Gesucht: Eine Regierung für alle

Die Manipulation der Wahlen blieb im Rahmen der Erwartungen. Zu diesem Schluss kommen unabhängige Wahlbeobachter in Jordanien

In schiitischen Moscheen wird dazu aufgerufen, die Liste 169 zu wählen

AUS AMMANKARIM EL-GAHWARY

Bischar ist plötzlich blass geworden. „Einer unserer Beobachter wurde bei einer Granatangriff auf ein Wahllokal im Süden Bagdads verletzt“, erklärt er seine Panik. Dann versucht er am Telefon Genaueres herauszufinden. Alle Satellitentelefone funktionieren nicht. Das Netz im Irak ist wohl überlastet.

Im Wahlbeobachtungsraum der deutschen Friedrich-Ebert Stiftung in der jordanischen Hauptstadt Amman laufen die Fäden von 3.500 irakischen Wahlbeobachtern zusammen. Im ganzen Land verteilt, berichten sie als Augenzeugen über ihre Erlebnisse am Wahltag. Über 17 Tote bei sieben Selbstmordanschlägen und mehrere Granatattacken auf Wahllokale, wurde bereits am Vormittag berichtet. Bei der Schließung der Wahllokale war diese Zahl auf mindestens 36 angestiegen. In einem Fall wurden vier Wähler auf dem Heimweg in Bagdad von Aufständischen gestellt, die eine Handgranate warfen. Keiner der vier überlebte.

Bereits relativ früh bestätigt sich das erwartete Bild. In den kurdischen Gebieten im Norden des Landes stehen die Wähler schon Schlange, bevor die Wahllokale überhaupt öffnen. In der zweitgrößten irakischen Stadt im schiitisch dominierten Süden übersteigt die Wahlbeteiligung sogar die kühnsten Erwartungen der Wahlorganisatoren.

Dagegen laufen Berichte ein, dass im sunnitischen Dreieck einige Wahllokale gar nicht aufgemacht haben. Zu denen, die geöffnet haben, kommen nur wenige. In Ramadi werden die Leute mit mobilen Lautsprechern aufgerufen, doch zur Urne zu gehen. In der sunnitischen Salaheddin-Provinz versucht der Gouverneur seine Mitbürger per Radio zu mobilisieren. „Das ist eure Chance, die Zukunft eurer Kinder zu sichern“, verkündet er. Das Echo bleibt gering.

Weil sich keine internationalen Beobachter ins Land trauen, fiel den irakischen Wahlbeobachtern als Einzigen die Rolle zu, sich ein Bild zu verschaffen. Die häufigsten Anrufe und E-Mails in der Zentrale in Amman betreffen Wählerbeeinflussung. In Fadelya, einem Viertel in Bagdad, rufen die Gebetsrufer von den schiitischen Minaretten die Bewohner dazu auf, für die Liste Nummer 169 zu stimmen, eine Koalition schiitischer Parteien, die auch die Unterstützung des Großajatollahs Sistani genießt. Im Radwat Fares Wahllokal in Basra fanden die Wahlbeobachter bereits zehn Stimmzettel für die Liste 169 bevor die Wahlen begannen. Einige Offizielle hätten bereits abgestimmt, erklärt der dortige Wahlleiter verlegen.

„Die Wahlbeteiligung ist nach ersten Eindrücken höher als erwartet. Natürlich wurden Unzulänglichkeiten vermeldet, aber das habe ich unter diesen Bedingungen erwartet“, zieht der Deutsche Thomas Backweiler, der den Wahlbeobachtungsraum leitet, ein erstes kurzes Fazit.

Unterdessen ging es im Mädchengymnasium im Ammaner Stadtteil Swafiya, einem von acht Wahllokalen in der jordanischen Hauptstadt, in dem die Auslandiraker wählen können, ruhig und geordnet zu. Einige Iraker sind kurzfristig dorthin gefahren, um sich in die Wahllisten einschreiben zu lassen. „Das war endlich eine Gelegenheit, meine Meinung auszudrücken“, sagt der 58-jährige Ghiath. Er wünscht sich eine Regierung, die im Interesse aller Iraker arbeiten wird, egal welcher Religion oder Volksgruppe ihre Mitglieder angehören. „Ich hätte auch nichts gegen eine christliche Regierung, wenn sie dieses Kriterium erfüllt“ ergänzt der sunnitische Muslim.

Sami Edward Said kommt mit Hilfe eines Gehstocks langsam, aber würdig aus dem Wahllokal geschritten. „Das ist ein wichtiger Tag für uns, denn nach den Wahlen werden wir wissen, was schwarz und was weiß ist“, erklärt er feierlich. Der chaldäische Christ hat kurioserweise für die schiitische Sistani-Liste gestimmt. Dem herzkranken Mann wurde während des UN-Embargos 1991 eine Behandlung verwehrt, aber, so hieß es damals im Krankenhaus, wenn er 500 Dollar bezahle, ließen sich die Medikamente unter der Hand organisieren. Said war so empört, dass er auf Saddam und das ganze System fluchte. Der Geheimdienst stand bereits vor der Tür des Krankenhauses, um ihn abzuholen. Als er freikam, floh der Christ ausgerechnnet in den benachbarten Iran. „Dort wurde ich so gut behandelt, dass ich den Sistani-Leuten heute zutraue, verantwortungsvoll mit der Zukunft unseres Landes umzugehen.“

Gegen 15 Uhr mitteleuropäischer Zeit schließen die Wahllokale im Irak ihre Türen. Im Wahlbeobachtungsraum versucht Bischar immer noch herauszufinden, was mit dem verletzten Wahlbeobachter geschehen ist. Doch diejenigen, die er erreicht, wissen auch nichts Genaues über das Schicksal jenes mutigen Irakers, der am Morgen ausgezogen war, um die seit 81 Jahren ersten demokratischen Wahlen seines Landes zu beobachten.