berliner szenen Ein Business-Meeting

Nirwanische Seligkeit

„Der traditionelle Stirnguss versetzt Sie im Handumdrehen in nirwanische Seligkeiten“, schwärmte der Hotelkatalog. Ein Wellness-Wochenende in einem Ayurveda-Hotel in Thüringen. Incentive für verdiente Mitarbeiter. Doch unsere Lage war nicht gerade rosig: Der größte Konkurrent drohte mit feindlicher Übernahme, intern drohte die Abwicklung unserer Abteilung, und der Hauptvorstandschef hatte eine donnernde Erkältung. Die japanischen Kollegen auf der Etage trugen schon Mundschutz.

Vielleicht hatte der Chef deswegen einen Luftkurort im Mittelgebirge gewählt. Die Zufahrtsstraße sah aus wie eine Landebahn, die man für eine Notlandung mit Löschschaum bedeckt hat. Unsere Projektgruppe „Kontingenz Management“ war größtenteils wegen vereister Tragflächen in Tegel stecken geblieben. Doch der Chef hatte sich mit einem Range Rover hochgearbeitet, auf der Durchreise von Bologna nach Bergen. Die Tagesordnung war länger als die Verträge, mit denen wir in der Hauptstadt öffentliche Auftraggeber über den Tisch zogen, statt Wellness gab es Wodka und kaltes Buffet.

Auf der Rückfahrt saß ich im Auto des Chefs. Der ist nicht nur dafür bekannt, Kurven zu schneiden, sondern am Steuer einzuschlafen, wenn er keinen Beifahrer als Gesprächspartner hat. Also lauschte ich seinen Erzählungen, während wir die Serpentinen hinabrasten. Neben der Beifahrertür gähnten Abgründe, aber der Chef blieb wach, bis wir wieder auf Normalnull waren. Auf der Autobahn meinte er schließlich: „Manche glauben ja, Ayurveda hat was mit langem Leben zu tun, stimmt aber gar nicht! Es geht nur darum, gesund zu sein, solange man lebt …!“ Dann musste er fürchterlich niesen, und der Wagen geriet ins Schleudern. ANSGAR WARNER