Zur Minna gemacht

Lessing mit Ausschneidefiguren: „Minna von Barnhelm“ bietet mit seiner Verunsicherung einer Gesellschaft nach dem Krieg sehr viel mehr als bloße Schlagfertigkeit des einfachen Volkes. Am Deutschen Theater gab es trotzdem keine weiteren Fragen

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Bloß nicht übermütig werden: Kaum will man erleichtert durchatmen, dass das Deutsche Theater aus dem Streit um die Besetzung der Intendanz heraus ist, da macht eine flaue Premiere der guten Stimmung wieder den Garaus. Ausgerechnet Lessings „Minna von Barnhelm“, so ein Paradestück über die Intelligenz der Frauen und die Holzigkeit der Männer und eigentlich eine sichere Nummer, um Klassikermüdigkeit mit spitzen Wortgefechten wegzuwischen, hat es erwischt. Ein starrer Abend, trotz prominenter Besetzung.

Staunen musste man nicht über das Stück, sondern darüber, wie die Schauspieler, die man in anderen Inszenierungen des Hauses gerade noch so überzeugend erlebt hatte, sich nun wie historische Ausschneidefiguren über die Bühne schieben ließen. Es schien einem ja fast schon selbstverständlich, dass Nina Hoss, Sven Lehmann und Ulrich Matthes aus jeder Rolle Charaktere der Gegenwart formen, liegt deren Erfindung auch 200 Jahre zurück. Wie gut konnte Matthes Verletzbarkeit und Gemeinheit unter Gleichgültigkeit tarnen in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“; und jetzt gibt er den ehrversessenen Major von Tellheim so holzschnittartig, dass man ihn, diesen Ausbund an Tugend, mitsamt seinem Stolz in den Siebenjährigen Krieg zurückwünscht.

Keinen Zweifel ließ auch Sven Lehmann im „Faust“, dass die Gedanken seines geschmeidigen Mephisto auch von einem Zyniker der Gegenwart ausgesprochen werden könnten. Jetzt hat er uns als Just, der Reitknecht, zwar wieder ganz auf seiner Seite, aber doch mit einem Witz, der den Geruch von Pferdeäpfeln braucht, um zu funktionieren. Und Nina Hoss, die in „Einsame Menschen“ ihre Rolle mit einer Präsenz füllt, dass man die leere Bühne um sie herum vergisst, geht zwischen Koketterie und Bühnenbild manchmal verloren.

Schon lange wirkte dieser Bühnenraum nicht mehr so sehr wie ein schwarzes Loch, das alle Energie und Spannung aufsaugt. Auch Martina Gedeck, Gaststar in der Rolle der Minna von Barnhelm und nach zehn Jahren erstmals wieder auf einer Bühne, konnte nichts machen: Die schönen Nuancen ihres Gesichts, die man von Großaufnahmen kennt, sie trugen nicht weit genug.

Es muss Barbara Frey, der Regisseurin, an Mut gefehlt haben zu entscheiden, warum sie gerade „Minna von Barnhelm“ auf die Bühne bringen will. Spannend kann die Komödie werden, weil sie den Umbruch des Wertesystems kurz nach einem Krieg miterzählt, aus dem die Männer nur ihre Unfähigkeit zu lebenspraktischen Entscheidungen mitbringen. Aber nichts war von der Verunsicherung einer Gesellschaft, die ihre zivilen Formen noch nicht gefunden hat, zu spüren. Zu sehr beschäftigte einen das Rätsel, was diese Minna mit ihrer Lebenslust, Wärme und Unbefangenheit überhaupt an diesem Tellheim findet. Im Text gibt es darauf kaum eine Antwort, als ob die Attraktivität der Männer zu Lessings Zeiten noch keine Frage gewesen wäre. Aber Fragen an den Text zu stellen oder auszuloten, was sich seitdem verändert hat, kam in dieser Inszenierung nicht vor.

So musste man sich, weil der Hauptkonflikt einen emotional kalt ließ, über die Nebenfiguren amüsieren: die Frechheit der Kammerzofe Franziska, Justs Liebe zu seinem Major. Schon lustig, Nina Hoss mit rutschenden Strümpfen und verdrehten Augen zu sehen, mit hängenden Mundwinkeln und in einer Strickjacke, so ausgeleiert wie diese Interpretation der Schlagfertigkeit des einfachen Volkes.

Nächste Vorstellungen: 2., 3., 5., 15. und 16. Februar, Deutsches Theater