Ex-Kommandeur in Den Haag vor Gericht

Der frühere Kommandant der bosnisch-muslimischen Truppen, Sefer Halilović, wird für den Mord an 62 kroatischen Zivilisten im September 1993 verantwortlich gemacht. Zahlreiche Ungereimtheiten bei der Anklageerhebung

SARAJEVO taz ■ Gestern begann vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag der Prozess gegen den ehemaligen Kommandeur der Bosnischen Armee (Armija BiH) Sefer Halilović. Dem aus dem serbischen Sandžak stammenden Halilović wird vorgeworfen, für die Morde an 33 kroatisch-bosnischen Zivilisten im Dorf Grabovica und 29 kroatischen Zivilisten im Dorf Uzdol im September 1993 verantwortlich zu sein. Die Morde der damals von Muslimen dominierten Bosnischen Armee geschahen im Rahmen einer Herbstoffensive (Neretva 93) im Tal der Neretva, das zwischen Sarajevo und Mostar liegt. Die Offensive sollte eine Verbindung von Zentralbosnien zu dem von kroatischen und serbischen Einheiten eingeschlossenen und von der Bosnischen Armee verteidigten Ostteil von Mostar herstellen.

Mit Halilović ist erstmals ein hoher bosnisch-muslimischer Militär vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal angeklagt. Sefer Halilović wurde nach dem Angriff der serbischen Truppen im April 1992 vom damaligen Präsidenten Alija Izetbegović zum Oberkommandierenden der Verteidigungsstreitkräfte in Bosnien und Herzegowina ernannt. Angesichts der serbischen Politik, Bosnien und Herzegowina nach ethnisch-nationalistischen Kriterien territorial aufzuteilen und die nichtserbischen Bevölkerungen aus den von Serben eroberten Gebieten zu vertreiben, vertat Halilović die Meinung, alle Bosnier – Muslime, Serben und Kroaten – müssten sich gemeinsam gegen die von Radovan Karadžić und seinem General Ratko Mladić betriebenen „faschistischen Aggression“ wehren. Unter Halilović’ Amtsführung wurden 1992 Männer aus allen Bevölkerungsgruppen in die Verteidigungsarmee integriert. Als im Frühjahr 1993 auch die von Kroatien aus beeinflussten kroatischen Truppen in Bosnien und Herzegowina (HVO) sich gegen die Zentralregierung stellten und begannen, der Bosnischen Armee in den Rücken zu fallen und die kroatisch dominierten Gebiete in Bosnien ethnisch zu säubern, hielt Halilović an seinem Konzept fest.

Izetbegović gab der von der muslimischen Nationalpartei SDA geschürten Stimmung unter den von beiden Seiten vom Genozid bedrohten muslimischen Bevölkerung nach und definierte die Bosnische Armee zur muslimisch-bosnischen Armee um. Halilović protestierte und wurde im Juni 1993 als Oberkommandierender abgelöst, blieb jedoch Chef des Generalstabes und formell Oberkommandierender der Neretva-Offensive.

In Wirklichkeit, so argumentiert seine Verteidigung, war Halilović auch im neuen Tätigkeitsbereich bereits kaltgestellt. Gerade wegen dieser Vorgeschichte erregt der Prozess in Bosnien großes Aufsehen. Halilović bestreitet nicht die Morde an den kroatisch-bosnischen Zivilisten durch Angehörige der Armija BiH. Er bestreitet aber, dafür verantwortlich zu sein, denn „ ich lehnte jegliche Aktion aus ethnisch motivierten Hass ab“.

Merkwürdig ist die Vorgeschichte der Anklageerhebung. Viele der Entlastungszeugen wurden von der Liste gestrichen, neue Zeugen noch im Herbst 2004 hinzugefügt. Zeitungen in Sarajevo vergleichen den Fall Halilović mit dem früheren kroatisch-bosnischen General Tihomir Blaskić. Dieser war aufgrund von Unterlagen des kroatischen Tudjman-Regimes vom UN-Tribunal für Verbrechen der kroatischen HVO zu 40 Jahren Haft verurteilt worden. Nach Wiederaufnahme des Falles wurde Blaskić letztes Jahr freigesprochen. Das Tudjman-Regime hatte versucht, von den wirklichen Befehlsgebern der Massaker in Zentralbosnien abzulenken. Halilović ist überzeugt, Opfer von Unterlagen aus muslimisch-nationalistischen Kreisen zu sein, um die wirklich Verantwortlichen zu decken. ERICH RATHFELDER