Die Wanne ist voll

KLIMATHEATER Ökokalypse now: „Cosmic Fear“ in der Inszenierung von Mareike Mikat am Gorki-Theater nimmt sich die Erderwärmung vor, schlingert aber haltungslos zwischen moralischem Zeigefinger und Kalauer

Dialektik heißt nicht, einfach zwei Seiten zu zeigen. Man muss doch sagen, wie sie sich zueinander verhalten

VON EKKEHARD KNÖRER

Willkommen im Grand Hotel Abgrund: Der Bühnenraum ist abgesehen von einer eine Behausung andeutenden Wellblechwand praktisch leer. Einziges Bühnenrequisit: ein beträchtlicher Eisblock, der im grünen Netz von der Decke baumelt. Sein Schmelzwasser tropft in eine Wanne. Außerdem kommt mit drei Darstellern zur Aufführung, was im Stücktext, der ein Text aus Versatzstücken ist, die „Ökokalypse“ heißt. Später wird Che Guevara mal zu Guccivara vermurkst. Es ist Weltuntergang, aber für einen Kalauer bleibt allemal Zeit.

A, B, C sind die Figuren, die die Textstücke sprechen. Es schauspielern Sylvia Habermann (A), Holger Stockhaus (B) und Andrej Kaminsky (C). Sie geben von Anfang an alles. Das ist leider in jeder einzelnen Szene zu viel. Was ihnen, weil Stückautor Christian Lollicke es so will, durch die Birnen rauscht, ist die Klimakatastrophe, ist das Elend der Welt, inklusive Paranoia und Panik, kurz: „Cosmic Fear“. Dies alles zur Sprache zu bringen, darum geht es. Genauer gesagt, geht es darum zu fragen, wie man auf der Bühne etwas zur Sprache bringt, das längst die öffentliche Meinung bestimmt und die privaten Reden durchdringt.

Diese Meta-Frage macht alles, was in der Folge gesagt wird, zur Meta-Sprache. Nichts versteht sich hier eins zu eins. Das Problem, so die beileibe nicht originelle Diagnose, ist die Ironie, die angeblich den Ernst zersetzt. Ganz abgesehen von der Haltbarkeit dieser These, ist „Cosmic Fear“ auf durchaus exemplarische Weise das Symptom eines Problems, das sich mit dessen Analyse verwechselt. Lollicke selbst nämlich findet zur Sprache, die nicht die seine ist, kein rechtes Verhältnis. Er hat offensichtlich nicht das Zeug dazu, die zeitgenössischen Sprechweisen sich selbst ad absurdum führen zu lassen. Darum muss von außen, im Rudiment einer Handlung, ein brachial-kritischer Zug hinein. Dafür muss Hollywood herhalten.

Verhandelt wird ein Filmprojekt von Brad Pitt. Er möchte die Hauptrolle in einem Film über die Klimakatastrophe spielen. Oder über ein Überschwemmungsdesaster in Bangladesch. Oder übers Sterben der Eisbären auf ihren wegschmelzenden Schollen. Oder über Containerschiffabwracker an asiatischen Stränden. Kurz trifft Pitt seinen Produzenten in L. A., später sind wir in Bangladesch, wo Andrej Kaminsky die Karikatur eines Straßenkehrers spielt. Karikieren und Hysterisieren sind die zentralen Verfahren. Worte und Gefühle müssen – im letzten Drittel buchstäblich – ins Schlammbad. Was so haltlos und haltungslos, wie Mareike Mikat es inszeniert, oft einfach nur zynisch ist. Auch und gerade dann, wenn die Karikaturen auf der Bühne mal schweigen und dokumentarische Aufnahmen von Container-Abwrackern als Filmbild und Wirklichkeitsbehauptung auf die Wellblechwand projiziert werden.

Die Regie rettet das Stück, das wohl ohnehin nicht zu retten ist, nicht nur nicht. Mikat lässt es auch noch verhängnisvoll zwischen Comedy und Kabarett schlingern. In den Comedy-Sketch-Momenten werden die Darsteller in Eisbären- und Creature-from-the-Black-Lagoon- Kostüme gesteckt. Das wäre selbst dann, wenn es komisch wäre, nicht lustig. Was fehlt, ist mindestens der Wahnwitz, den der hier als Vorbild dienende Volksbühnen-Slapstick im besten Falle besitzt. An anderer Stelle dann dümmliches Kabarett: A, B und C machen Picknick mit McDonald’s-Burgern und Pommes. Sie lauschen dabei einer Projektion aus der Zukunft, in der Brad Pitt als Opa von seinen Enkeln gefragt wird, ob denn damals keiner die Katastrophe kommen sah. Darin liegt der Kern des Misslingens: Als politisches Kabarett setzt die Inszenierung die einverständige Kritik der Verhältnisse voraus, die sie durch die Comedy-Elemente gleichzeitig zynisch zersetzt.

Sie hält das für Dialektik. Aber Dialektik heißt nicht, einfach zwei Seiten zu zeigen. Man muss schon sagen, wie sie sich zueinander verhalten. Genau das tun Stück und Inszenierung aber nicht. Unfreiwillig illustriert ein weiterer Regieeinfall das sehr genau. An die Wellblechhüttenwand sind Fotokopien von Ikonen des 20. Jahrhunderts geheftet, alles auf einer Skala von David Hasselhoff bis Mahatma Gandhi. Später werden die Zettel umgedreht, und an die Stelle der Ikonen treten namenlose Kindergesichter aus Asien und Afrika. Soll wohl heißen: Damit müssen wir uns befassen. „Cosmic Fear“ tut freilich alles andere als das. Am Schluss nehmen die Darsteller die Blätter von der Wand und drücken sie den Zuschauern in die Hände. Wenigstens ein sinnloser Regieeinfall, den man mitnehmen kann.

■ „Cosmic Fear“. Weitere Vorstellungen am 10., 11. und 12. Juni im Gorki-Theater