Einer für die Drecksarbeit

Der Handballer Oliver Roggisch taucht nie als Torschütze auf, sein Job ist das Stoppen gegnerischer Werfer. In der WM-Hauptrunde, so beim gestrigen 26:29 gegen Kroatien, gelingt das zu selten.

AUS NABEUL FRANK KETTERER

Das Spiel lief noch, und doch war es bereits zu Ende. Oliver Roggisch stand da und gestikulierte wild, er war richtig aufgebracht, aber es sollte keine Wirkung zeigen. Die Schiedsrichter hatten ihm erst zwei Finger entgegengestreckt und dann die rote Karte – die dritte Zeitstrafe bedeutete den Spielausschluss. Roggisch sah ein, dass es keinen Sinn hatte, dagegen zu protestieren. Er zog sein Trikot aus, setzte sich auf die Bank – und sah zu, wie die deutsche Handball-Nationalmannschaft ihr erstes Hauptrundenspiel bei der Weltmeisterschaft gegen Spanien mit 28:32 verlor und damit schon das Halbfinale verpasste. Gestern gab es dann ein 26:29 gegen Olympiasieger Kroatien.

Man darf Oliver Roggisch die rote Karte gegen Spanien nicht übel nehmen, im Handball kann das schon mal passieren. Zumal es mehr oder weniger der Job des 26-Jährigen ist: Er ist in Tunesien, um hinten die Drecksarbeit zu machen. Roggisch ist sogar ein Spezialist darin, ein Abwehrspezialist. Man könnte auch sagen: Oliver Roggisch ist der Drecksarbeiter im deutschen Team.

Das hört sich ganz schön schlimm an, und hart ist der Job allemal. Zumal die Lorbeeren immer die anderen einstecken, jene, die angreifen und Tore werfen. Bei ihnen wird beinahe jeder Schritt und jeder Wurf in irgendeiner Zahlenkolonne festgehalten, und am Ende kann man dort ablesen, wer der Beste ist, und ihn dafür feiern. Über die Leistung von Roggisch hingegen wird keine Statistik geführt – und wenn, dann ist es eine negative – die der Zeitstrafen. In der Bundesliga war Roggisch schon dreimal Zeitstrafenkönig der Saison, und auch in dieser liegt er wieder aussichtsreich im Rennen. Aber auch das darf man dem Mann von TuSEM Essen nicht vorwerfen, zumal er nie brutal spielt. Nur hart und konsequent. „Abwehrarbeit ist auch sehr viel Einsatz“, sagt Roggisch über seine Arbeit, und man kann sich leicht vorstellen, was das heißt bei einem Hünen von knapp zwei Metern und rund 100 Kilo Lebendgewicht.

Dass sein Job, was die Imagewerte angeht, eher niedrig angesiedelt ist, stört Oliver Roggisch nicht. „Ich habe genügend Selbstbewusstsein, ich brauche keine Schulterklopfer“, sagt er. Vor allem hat er zwei Trainer, die eine gute Defensive zu schätzen wissen: In Essen ist es Juri Schewzow, in der Nationalmannschaft Heiner Brand. Gerade das deutsche Team war in der Vergangenheit ja berühmt für seinen Abwehrblock, Klaus-Dieter Petersen und Volker Zerbe galten als das weltbeste Gespann in dieser Funktion. „Petersen war ein sehr, sehr wichtiger Baustein in dieser großen Mannschaft“, sagt Roggisch.

Dass von ihm nun behauptet wird, er könne der neue Petersen dieser neuen Mannschaft werden, ist ein großes Kompliment, auch wenn der Vergleich hinke, wie Roggisch findet. „Ich bin ein ganz anderer Spielertyp“, sagt der Mann aus Essen, und man kann das sogar sehen: Petersen wirkte immer etwas steif und ungelenk, ein bisschen so, als habe er einen Besen verschluckt; Roggisch hingegen bewegt sich tänzelnd und wirkt für einen Abwehrspieler extrem beweglich. „Petersen hat viel über seine Erfahrung gemacht, bei mir ist es die Schnelligkeit“, sagt Roggisch selbst.

Dabei ist es keineswegs so, dass Roggisch nur fürs Zerstören zuständig ist, das reicht längst nicht mehr aus, um ein Guter zu werden auf dieser Position. Wenn er und Frank von Behren, sein Partner im neuen deutschen Block, stabil stehen, dann haben es auch die Torhüter leichter. „Es gibt die Torhüterecke und es gibt die Blockecke“, sagt Roggisch. Im Prinzip teilen sie sich das Tor auf und machen es somit ein bisschen kleiner. Und selbst aufs Spiel nach vorne hat Roggisch Einfluss, auch wenn es nur ein minimaler ist, schließlich muss er stets auf die Bank, wenn ein Angriff läuft. Aber im besten Fall einleiten kann er die Attacke noch. „Ein Tempogegenstoß ist immer auch ein Verdienst der Abwehr“, erklärt der Essener.

Von Anfang an Abwehrspezialist werden wollte Oliver Roggisch dennoch nicht. In der Jugend spielte er beim TuS Schutterwald im Rückraum, als beim damaligen Zweitligisten der Kreisläufer ausfiel, stellte ihn Martin Heuberger, der jetzige Co-Trainer von Heiner Brand, als Notlösung an den Kreis und in die Abwehr. Als der Kreisläufer zurückkam, durfte Roggisch zumindest hinten weiterackern, was er gerne tat – für den damals 17-Jährigen war die Abwehr die große Chance, dauerhaft in der zweiten Liga spielen zu können. An diesem Prinzip hat sich nichts geändert, auch in Essen und in der Nationalmannschaft nicht. „Ich weiß, dass es bessere Kreisläufer gibt als mich“, sagt Roggisch. Es fällt ihm nicht weiter schwer, das zuzugeben. Denn er weiß auch, dass es derzeit nicht viele bessere Abwehrspieler gibt als ihn, genau deshalb hat Heiner Brand ihn ja mitgenommen nach Tunesien.

Oliver Roggisch sagt, dass er dennoch nicht davon ausgehen könne, nun dauerhaft zur Nationalmannschaft zu gehören, zumal der derzeit verletzte Jan-Olaf Immel irgendwann zurückkommen wird. Immel kann in Angriff und Abwehr spielen, das ist ein Vorteil für ihn. Aber auch das stört Oliver Roggisch nicht, sondern er sagt: „Ich sehe die WM als große Chance für mich.“ Und nach allem, was man bisher von ihm gesehen hat, kann man nur sagen: Er hat die Chance genutzt. Von Spiel zu Spiel und je stärker die Gegner wurden hat er mehr Einsatzzeit bekommen vom Bundestrainer– und anschließend auch so manches Lob.

Das vielleicht schönste kam von Florian Kehrmann, dem Mannschaftskapitän und letzten Überlebenden der großen, alten Mannschaft. „Olli macht seine Sache ganz hervorragend. Im Moment ist er aus der Mannschaft nicht wegzudenken“, hat Kehrmann gesagt.