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: Ich habe einen Traum

Der wegen gefälschter Interviews geschasste Reporter Tom Kummer durfte am Wochenende wieder für die „Berliner Zeitung“ schreiben. Eine zweite Chance, so Chefredakteur Vorkötter. Doch Kummer nutzte das Angebot eher als eine dritte Chance, einen Text über Los Angeles wiederzuverwerten

„Der einzige Sinn und Nutzen journalistischen Kommunizierens kann heute also nur darin liegen, verschiedene Wirklichkeitsentwürfe zu produzieren.“ Das schreibt Tom Kummer in der aktuellen Ausgabe des Medienmagazins Cover. An so ein Statement schließen sich viele Fragen an – seit letztem Wochenende aber vor allem die eine: Wie viele verschiedene Wirklichkeitsentwürfe hat Kummer selbst über die Wüste vor Los Angeles geliefert?

„Die Vorstadt von Los Angeles beginnt dort, wo die Trostlosigkeit ein anderes Aroma hat. Es riecht nicht nach Orangen und Eukalyptus wie in Beverly Hills, sondern nach verdorrten Yuccas und offenen Abwasserleitungen.“ So fängt Kummers Artikel aus der Samstagsausgabe der Berliner Zeitung an. Überschrift: Der Traum vom Auto. „Die Vorstadt von Los Angeles beginnt dort, wo die Trostlosigkeit ein anderes Aroma hat. Es riecht nicht nach Orangen und Eukalyptus wie in Beverly Hills, sondern nach verdorrten Yuccas und offenen Abwasserleitungen.“ Der Anfang von einem Artikel, den Kummer 1998 in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichte. Überschrift: Der Traum von einem besseren Leben. 1999 dann ein Artikel im SZ-Magazin. Seine Protagonisten: Kids aus der kalifornischen Wüste. Sechs Jahre später turnen sie wieder durch denselben Sand. Diesmal zur Abwechslung in der Berliner Zeitung. Doch ihr Alter ist immer noch dasselbe.

„Eine journalistisch saubere Reportage“ hätte man abgemacht, so der Chefredakteur der Berliner Zeitung, Uwe Vorkötter. Das hatten aber auch schon andere zuvor mit Kummer abgemacht – und trotzdem schön Fabuliertes, doch frei Erfundenes erhalten. Immerhin: Zweimal hielt sich Kummer an solche Absprachen mit der Berliner, zweimal lieferte er 2004 unbeanstandete Artikel. „Eine zweite Chance statt ‚lebenslänglich‘“ habe er Kummer geben wollen, sagt Vorkötter. Sozialpädagogischer Idealismus oder noch andauernde Verblendung ob des glänzenden Autors?

Fest steht: Vorkötters Resozialisierungsversuch des Wiederholungstäters ist endgültig fehlgeschlagen. Kummer wird ab sofort nicht mehr für die Berliner Zeitung schreiben. Fragt sich nur, wann Tom Kummer das nächste Mal wieder rangelassen wird. Denn wenn der Fall Kummer etwas zeigt, dann den Wunsch, ja den Willen der Chefredaktionen dieses Landes zum Träumen. Den Traum vom besseren Kummer.

HANNAH PILARCZYK