BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Es sind die Hormone!

Meine Schilddrüse produziert mal mehr, mal weniger Hormone. Angeblich liegt das an meiner Arbeit

Die Schilddrüse ist ein kleines, aber wichtiges Organ. Es ist für die Hormonproduktion zuständig. Schon zu DDR-Zeiten hatte ich Huddeleien damit. Mitten in der Pubertät hatte ich einen ominösen kreisrunden Haarausfall. In ihrer Ratlosigkeit schickten mich die Ärzte zu einem Psychologen, der mich fragte, ob ich Probleme hätte. Herrjeh, mit 14 war für mich die Welt noch in Ordnung. Kurz bevor ich bestrahlt werden sollte, fingen die Haare wieder an zu wachsen. Passend zur Mangelwirtschaft im Osten stellte sich heraus, dass es meiner Schilddrüse an Jod mangelte. Ich bekam Jodtabletten, und Ruhe war.

Vor geraumer Zeit hatte ich wieder Huddeleien. Diesmal waren es Schlafprobleme und eine innere Unruhe, die nicht mehr feierlich war. Mein Internist schickte mich nach einer ergebnislosen Suche nach den Ursachen schließlich zu einem Psychiater. Wie sich die Dinge wiederholen, dachte ich betrübt. Mit dem Unterschied, dass ich die Welt mittlerweile durchaus in Frage stelle. Obwohl ich kein Bedürfnis verspürte, darüber mit einem Seelenklempner zu reden, ging ich hin. Ein beleibter Mittfünfziger fragte mich mit bedeutungsschwerer Stimme: „Haben Sie manchmal das Gefühl, in Ihrem Leben gescheitert zu sein?“ Ich kam mir vor wie in einem Film von Woody Allen.

Es war mein Vater, ein mittlerweile pensionierter Allgemeinarzt, der mir schließlich helfen konnte. Als er sich beklagte, dass ich schneller als ein D-Zug reden würde, wagte er eine Ferndiagnose. „Du hast sicher eine Schilddrüsenüberfunktion!“, sagte er vorwurfsvoll. Das wollte ich nicht auf mir sitzen lassen. Weil ich dem West-Internisten, der meiner Schilddrüse nicht die nötige Beachtung geschenkt hatte, nicht mehr vertraute, besann ich mich eines Internisten aus einem ehemaligen Ostblockstaat. Ein Pole, den ich vor anderthalb Jahren in der Russendisco in Berlin kennen gelernt hatte.

Wir waren uns damals auch näher gekommen. Doch an meine Schilddrüse hatte ich ihn nicht rangelassen. Das wollte ich nun nachholen. Nach einer Blutuntersuchung attestierte er mir eine Überfunktion der Schilddrüse. Endlich hatte ich eine Diagnose. Ich bekam Tabletten, damit das gute Stück nicht mehr so viele Hormone produziert.

Aber die Schlafprobleme blieben. Was machte da mein behandelnder Arzt, der Witzbold? Bevor ich im Sommer nach Kuba fuhr, gab er mir zwei Rezepte. Eins für die Tabletten und ein zweites, bei dem ich dachte, ich lese nicht richtig: „Für Barbara Bollwahn einen richtigen Kerl nach Maß, damit die Patientin endlich müde ist“, stand da drauf. Wortwörtlich.

Weil der Apotheker nicht so aussah, als ob er dieses Medikament besorgen könnte, schickte ich eine SMS an den polnischen Internisten, den ich mir durchaus als wirksame Schlaftablette vorstellen kann. „Nach der Gesundheitsreform muss der Arzt selber dafür sorgen, dass seine Patientinnen gut schlafen.“ Die Antwort kam prompt: „Auch in Kuba?“ War ja nur eine Frage.

Bald danach hatte ich ein zweites Déjà-vu. Wieder hatte ich einen kreisrunden Haarausfall. Mittlerweile hatte sich die Über- in eine Unterfunktion verwandelt, und ich schluckte ziemliche Hormonklopper, die wiederum zu einer leichten Überfunktion führte. Ich blickte überhaupt nicht mehr durch und konsultierte deshalb einen Arzt in der Nuklearmedizin der Charité, um mit Bangen nachzufragen, ob man meine Schilddrüse jetzt bestrahlen müsste.

Ich beschrieb die Symptome, und der Arzt wollte wissen, wo ich arbeite. Als ich sagte, ich sei Journalistin bei der taz, bekannte er sich zur FAZ und sagte: „Sie haben nur eine leichte Überfunktion. Wenn ich bei der taz arbeiten würde, hätte ich auch Hormonprobleme.“

Aber ich will nicht klagen. Das wird mir sofort falsch ausgelegt. Jammer-Ossi und so. Deshalb will ich einen Vorteil meiner erkrankten Schilddrüse preisen. Sie eignet sich hervorragend als Buhmann! Jeder dritte Deutsche hat Probleme mit dem Organ. Da kann es mit der deutsch-deutschen Annäherung ja nichts werden. Es ist nicht der fehlende Wille. Es sind die Hormone.

Fragen zu Hormonen? kolumne@taz.de Morgen: Dieter Baumann über LAUFEN