Kampfjets über Auschwitz

Mit Spannung wird die Rede erwartet, die Bundespräsident Horst Köhler heute in der Knesset halten wird. Er könnte dabei helfen, die bizarren Vorbehalte mancher Deutscher gegen Israel auszuräumen

VON JAN FEDDERSEN

Im Frühsommer 1967 hatte der junge Staat Israel endlich, wenigstens dies, den Respekt der Bundesdeutschen auf seiner Seite: Damals hatte die junge nahöstliche Republik, hierzulande gleich in der bewundernden Kategorie eines German Blitzkrieg fantasierend, die von Ägypten ausgehende Kriegsaggression abgewehrt und ein buchstäblich zerbröseltes, im Übrigen demoralisiertes arabisches Militärkorps hinterlassen. Die Sinaihalbinsel war am Ende erobert, die syrischen Golanhöhen, der Gaza-Streifen und die biblische Altstadt von Jerusalem. Mosche Dajan, der Mann mit der Augenklappe, war auch im demokratischen Deutschland ein Held.

Das war fast schon der Höhepunkt der Liebe und der Anerkennung Israels durch die Deutschen – weit über die Kreise jener Jugendlicher hinaus, die Israel kennen gelernt hatten, indem sie dortselbst Buße leisteten: Die 1958 gegründete „Aktion Sühnezeichen“ ist dabei nur die prominenteste Organisation unter vielen anderen, die tausende von jungen Deutschen in die Kibbuzim schickte, wo sie arbeiten und das Land der Überlebenden des Holocaust von innen kennen lernen konnten. Der Sechstagekrieg aber war ein Zeichen, das auch erwachsenen Deutschen bedeutete: Die können was, die haben das Opfersein satt – kein Zufall, dass erst diese militärische Geste besonders fühlbar war.

Auf diplomatischer, staatlicher Ebene war das Verhältnis zwischen Israel und der BRD ein zunächst schwieriges. Anfang der Fünfziger erkennt die Adenauer-Regierung die prinzipielle Verpflichtung des deutschen Volkes gegenüber Israel und dem jüdischen Volk an – finanziell. Erster Deutscher, der in Israel eine öffentliche Ansprache halten durfte, war jedoch kein Unionspolitiker, sondern, im Jahre 1957, der Sozialdemokrat Erich Ollenhauer. Die CDU-Bundesregierung hatte, mit Hinweis auf die nahöstlichen Spannungen, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel abgelehnt oder verschleppt – erst 1965 wird sie besiegelt.

Spannungsfrei waren die Beziehungen damals nicht – zumal erst auf Drängen liberaler Medien, der USA und Israels der Bundestag die Verjährungsfrist für Naziverbrechen erst auf 1969 verlängerte, dann gänzlich aufhob. Problematisch aber war nicht die offizielle Bundesrepublik: Insgeheim und faktisch zählt das Existenzrecht Israels seit der Kanzlerschaft Willy Brandts zur Staatsräson der Bundesrepublik – zu einem Zeitpunkt, als die DDR noch von einem „zionistischen Expansionsdrang“ der Juden im Nahen Osten sprach.

Bis weit in die Neunzigerjahre hinein galt das Verhältnis zu Israel als weitgehend unproblematisch: Beide Staaten waren und sind eingebunden in westliche Sicherheitssysteme. Antisemitismen sind in Deutschland nicht strikt antipopulär, als Patzer dennoch zu registrieren: Wenn, beispielsweise, bei einem Besuch des israelischen Staatspräsidenten in Deutschland der Zentralratsvorsitzende der Juden in Deutschland darauf hingewiesen wird, gleich spreche sein Präsident – als ob der nicht der Bundespräsident sei. Das gleiche Missverständnis liegt zugrunde, wenn von „Juden und Deutschen“ die Rede ist – als ob beides nicht identisch sein könnte.

Vielleicht sind das wirklich nur semantische Probleme. Mehr Sorgen macht man sich in Israel, aller problematischen Politik im Westjordanland und im Gaza-Streifen zum Trotz, um die Geringschätzung ihres Staates in linken, gern auch globalisierungskritischen Milieus. Gegründet 1948 als Schutzprojekt aller Juden, auf dass ein Holocaust nie mehr möglich sein kann, wird es just in jenen Zirkeln vorwiegend als ethnisch, jüdisch, begriffen – und nicht als übrigens einziger demokratischer Rechtsstaat im Nahen Osten, den es zu bewahren gelte.

Angelegentlich einer gemeinsamen Übung von israelischer und polnischer Luftwaffe flogen am 4. September 2003 drei israelische Kampfjets über Auschwitz: „Wir sind die Stimme ihrer stummen Rufe“, sagten die Piloten, selbst Nachkommen von Shoah-Opfern. 60 Jahre vorher hätten sie den Holocaust wirksam bekämpfen können – militärisch nämlich.