Rezzo und der Rinderkrieg

Früher kämpften die Anhänger der Öko-Bewegung gegen Massentierhaltung. Heute bekämpfen sie sich gegenseitig. Schließlich geht es um nichts Geringeres als das Edelrind Boeuf de Hohenlohe. Ein Fortschritt. Und ein Fall für Rezzo Schlauch

AUS WOLPERTSHAUSENUND BLAUFELDEN THILO KNOTT

Irgendwann haben sie geredet. Friedensgipfel. Unter Männern. „Den mach ich fertig“, soll Rudolf Bühler hinterher gesagt haben. Sagt Manfred Kurz. Rudolf Bühler vertritt die Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall. Als Chef. Manfred Kurz verhandelt als Gastronom. Als Gourmetgastronom und Witzigmann-Schüler aus Blaufelden. Rudolf Bühler betont, er habe überhaupt keinen Grund, sich mit dem „Herrn Kurz“ zu streiten. „Kurz hat seinen Gourmet-Stern verloren, jetzt muss er sich auf irgendeine Weise neu positionieren.“ Kurz wiederum sagt, Bühler denkt, er sei „ein kleiner Herrgott“. Es herrscht Krieg. Rinderkrieg in Hohenlohe. Es geht um Rindfleisch, das Edelrind Boeuf de Hohenlohe und die ganz hehren Ideale der ökologischen Bewegung.

Rudolf Bühler sagt, er sei Alt-68er („Dutschke war 68 auch in Schwäbisch Hall“), er wolle die Ideale von damals „auch umsetzen“, gegen die Industrialisierung der Landwirtschaft als Leitbild der 70er-Jahre, weshalb er sich im Hohenlohe der 80er-Jahre zum Kopf einer „konspirativen Zelle, einer agraroppositionellen Zelle“, wie er sagt, aufgeschwungen hat.

Manfred Kurz sagt, er verstehe sich in der Tradition von Theodor Heuss, er stehe ein für „bürgersinniges Engagement“ und „zivile Unabhängigkeit vom Staat“.

Beide haben sich das Markenrecht am Boeuf de Hohenlohe beim Marken- und Patentamt in München eintragen lassen, jetzt kämpfen sie um ihre Marktinteressen.

Bühler ist der Erzeuger des Boeuf de Hohenlohe. Aus der „agraroppositionellen Zelle“ ist 1988 die Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall geworden. Bühler ist der Chef von 800 Bauern, 90 davon produzieren das Boeuf. Sogar einen eigenen Schlachthof besitzt die Erzeugergemeinschaft. Weil die Stadt Schwäbisch Hall klamm ist, hat Bühler zugeschlagen. Von der Zucht bis zur Schlachtung – „alles in unseren Händen“, sagt Bühler stolz. Sein Credo: Landwirtschaft sei immer „Wertschöpfung in der Region“. Dabei sei der Landwirt auch Unternehmer, der „die Natur nachhaltig bewirtschaftet und nicht verwirtschaftet“. Also züchtet und vermarktet die Erzeugergemeinschaft das Schwäbisch-Hällische Landschwein, die Hohenloher Landgans – und eben das Boeuf de Hohenlohe. Bühler hat sich die Marken „boeuf de Hohenlohe“ und „Böff de Hohenlohe“ gesichert.

Kurz ist der Verwerter des Boeuf de Hohenlohe – im „Hirschen“, seinem Restaurant in Blaufelden. Sein Credo: Für ihn als Koch sei es „ideal, sich auf den Kirchturm zu stellen, und alles, was ich sehe, zu verarbeiten“. Kurz hat sich gefragt, warum jemand in die französische Bresse fährt, nur „um einen Gockel zu essen“? Seine Antwort: „Du musst den Menschen einen Grund liefern, warum sie von Frankfurt über 200 Kilometer ins Hohenlohische zum Essen fahren sollen.“ Also serviert er fränkischen Zander, rosa gebratene Hohenloher Taube, Siedfleisch und Kotelett vom Boeuf de Hohenlohe. Die Marke von Kurz heißt „Boeuf de Hohenlohe“.

„Boeuf de Hohenlohe“, „Böff de Hohenlohe“, „boeuf de Hohenlohe“, ja, es gibt sogar noch ein „Boef de Hohenlohe“ des Bauernverbands Hohenlohe. Ein gewaltiger Unterschied. „Nicht alles, was zum Scheunentor rausschaut, ist auch Boeuf de Hohenlohe“, sagt Kurz. Während die Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall die Rinderrassen Limpurger Rind, Hohenloher Fleckvieh und Fränkisches Gelbvieh als Boeuf de Hohenlohe vermarktet, lässt Kurz nur den Limpurger Ochsen als echtes, reines Boeuf de Hohenlohe durchgehen. Er selbst hat bei einem Bauern in der Gemeinde Blaufelden drei Limpurger Ochsen stehen. „Nur reinrassige Tiere liefern auch formidable Qualität“, sagt der Koch. Kurz wirft der Bühler-Fraktion vor, lediglich den Markennamen Boeuf de Hohenlohe ausschlachten zu wollen. Er will ein erstklassiges Produkt – und dann kommt der Markt. „Der Bühler aber will Markt – und kümmert sich erst dann um die Qualität des Boeuf de Hohenlohe“, sagt Kurz. Der Koch spricht von Unverwechselbarkeit des Fleisches, von Nichtkopierbarkeit. „Das bringt Markt.“ Der entsteht gerade. 30 Hohenlohische Bauern haben das Boeuf de Hohenlohe, Limpurger Art, auf ihren Weiden stehen. 580 Tiere mittlerweile, davon 40 Ochsen. Die Bauern erhalten mehr als den doppelten Preis für ihr Rindfleisch. 4,80 Euro pro Kilo Schlachtgewicht. Die von Kurz mitgegründete Hohenlohe Gesellschaft, in der auch die Fürsten von Hohenlohe-Bartenstein, Hohenlohe-Öhringen und Hohenlohe-Langenburg und der Stuttgarter Verleger Michael Klett sitzen, organisiert den Vertrieb des seltenen Fleisches. Über den Edelversand Manufaktum, klar, den Inbegriff für nachhaltigen Hedonismus.

„Der Kurz darf doch sein Limpurger vermarkten“, sagt Bühler, „aber die Marke Boeuf de Hohenlohe ist eine geografische Herkunftsbezeichnung und keine Rassenbezeichnung.“ Bühler sitzt in seinem Büro in der Zentrale der Erzeugergemeinschaft in Ilshofen-Wolpertshausen, er wohnt auch im 1. Stock des Gebäudes. Er wolle zu dem Rinderstreit eigentlich gar nicht so viel sagen, das sei Sache der Erzeugergemeinschaft Boeuf de Hohenlohe, wo er offiziell nur 2. Vorsitzender ist. Aber hier scheint alles Chefsache – sogar jeder Misthaufen. „Misthaufen sind auf Äckern zulässig, solange der Abstand zu Gewässern und Straßen eingehalten wird“, sagt Bühler, nachdem er den Telefonhörer aufgelegt hat. Das Landratsamt war dran, weil eine Anzeige gegen einen Bauern der Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall vorliegt. Er macht einen Besichtigungstermin aus. „Die Beweispflicht liegt doch bei Ihnen“, hat er dem Mann vom Landratsamt erklärt, und hinterher geschmunzelt, als würde er sich auf den Misthaufen-Besichtigungstermin geradezu freuen. Er kennt den Misthaufen, er weiß, dass der Misthaufen genügend Abstand hat und die Gülle nicht ins Grundwasser gelangen kann.

Misthaufen aber sind gar nichts gegen das Boeuf de Hohenlohe. Deswegen ruft er gleich die Europäische Union an. „Das Boeuf de Hohenlohe ist Allgemeingut aller Bauern in Hohenlohe“, sagt er. Das soll ihm die EU bestätigen. Er hat beantragt, das Boeuf als „geografische Angabe“ schützen zu lassen. Das Münchner Patent- und Markenamt arbeitet gerade an einem Gutachten für die EU. Bühler wurde schon befragt, Kurz selbstverständlich auch. Sollte die EU dem Antrag stattgeben, wäre Bühler am Ziel: Sein Boeuf stünde dann auf einer Stufe mit Parmaschinken oder der Nürnberger Bratwurst. Dann gäbe es nur noch ein amtlich anerkanntes Boeuf de Hohenlohe – und Kontrahent Kurz wäre seine Markeneintragung los.

Kurz steckt sich eine Gauloise Caporal zwischen die Finger und zuckt mit den Schultern. „Der Name Boeuf de Hohenlohe hätte für uns dann keine Bedeutung mehr“, sagt er, zieht an der Caporal. „Dann vermarkten wir unser Fleisch eben unter der Marke Limpurger Ochse.“ Den Markt, hat er ja gesagt, wird es auch dafür geben. Es bliebe alles beim Alten: Die Kurz-Fraktion fährt das reinrassige Limpurger, die Bühler-Fraktion vermarktet das Boeuf de Hohenlohe, rein geografisch.

„Es gibt eine Einigung“, sagt Klaus Süpple. Es gibt eine Einigung? Und wie kommt dieser Süpple ins Spiel? Süpple ist Mitglied der Bühler-Partei. Allein wegen der Geschäftsbeziehungen: Süpple ist Chef der Erzeugergemeinschaft Boeuf de Hohenlohe, Bühler bekanntlich deren Vize. Süpples Erzeugergemeinschaft vermarktet das Boeuf über Bühlers Erzeugergemeinschaft. Süpple sagt, er habe nichts gegen den „Herrn Kurz“, und von „Rinderkrieg“ will er nicht sprechen. „Ja, wir haben uns geeinigt“, sprudelt Bauer Süpple los: Es wird eine Marke geben, Boeuf de Hohenlohe. Mit zwei Standards. Einmal der Limpurger Ochse. Als Premium-Boeuf. Einmal alle anderen Rindviecher. Fertig. Ende Februar Pressekonferenz, vielleicht auch Mitte März.

Kurz weiß von keiner Einigung. Er hatte keinerlei Kontakt. Weder mit Bühler noch mit Süpple. Er weiß nicht, mit wem die andere Seite geredet haben will. Er weiß nur, dass man mit ihm reden muss, denn er besitzt die Markeneintragung. Und einen Kompromiss wird es mit ihm nicht geben. Sagt Kurz. „Wieder so eine Raffinesse der Gegenseite.“ Verwirrung.

Eines scheint nun klar: Die brauchen Hilfe, diese Hohenloher. Die brauchen einen Schlichter wie bei den großen Tarifauseinandersetzungen. Jemanden, der die Hohenloher kennt, der aber Unabhängigkeit ausstrahlt. Einen hohenlohischen Heiner Geißler. Die brauchen: Rezzo Schlauch.

„Ja, ich habe beide Kontrahenten wissen lassen, dass der Streit aus der Entfernung ein bissle kleinkariert wirkt“, sagt Rezzo Schlauch, Staatssekretär im Wirtschaftsministerium zu Berlin. Das Signal haben Bühler und Kurz verstanden – „es gab positive Rückmeldungen“. Sagt Schlauch. Er stehe unmittelbar davor, die Sondierung aufzunehmen. „Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn ich das nicht schaffe“, sagt Schlauch.

Der Grüne kennt beide. Mit Kurz hat er das Buch „Die neue Ess-Klasse“ (mit Beiträgen von Gerhard Schröder und Joschka Fischer) gemacht, Schlauchs Bruder Bernulf macht Bühlers Pressearbeit. „Kurz und Bühler schätzen und akzeptieren mich“, sagt Schlauch, selbst gebürtiger Hohenloher. Überhaupt habe er in Hohenlohe „insgesamt schon ein ziemliches Standing“. Zur Vermittlungsstrategie hält sich Schlauch noch bedeckt. Nur einen Termin hat er sich schon gesetzt: Ostern, 2005. „Es wird einen Kompromiss geben“, sagt Schlauch. Und endlich Frieden in Hohenlohe.