Demokratie in Hochform

Zeitunglesen, Plaudereien mit dem Tischnachbarn, demonstratives Gähnen – in ihrer ersten Sitzung im neuen Jahr ziehen die Kölner Ratsleute alle Register. Größter Aufreger: Verkaufsoffene Sonntage

VON SUSANNE GANNOTT

Der „Große Sitzungssaal“ hat einen gediegen würdevollen Charme: die Wände holzgetäfelt, 50er-Jahre-Kronleuchter an der sechs Meter hohen Decke. An der Wand hinter dem erhöhten Podium, wo der Oberbürgermeister mit seinen Dezernenten und Beigeordneten präsidiert, hängt ein Doppeladler mit Schwertern und Stadtwappen. Es ist Dienstag Nachmittag, der Kölner Stadtrat tritt im Spanischen Bau des Rathauses zu seiner ersten Sitzung im neuen Jahr zusammen.

Die ersten Ratsleute trudeln ein, legen Akten und Taschen ab, begrüßen sich. Ein kurzes Kopfnicken hier, eine freundliche Plauderei dort – man kennt sich und schätzt sich, auch über Parteigrenzen hinweg. Ruhig ist es nur an den Tischen direkt neben dem Eingang: Da sitzen die Rechten. Um 16.37 Uhr nimmt Fritz Schramma seinen Platz am Präsidiumstisch ein. Die letzten Ratsleute flitzen auf ihre Plätze. Der Gong ertönt, die Sitzung kann beginnen.

Die Präliminarien will der Oberbürgermeister möglichst schnell hinter sich bringen: Begrüßungsformeln, Feststellung der Anwesenheit (drei Ratsleute fehlen entschuldigt), Dringlichkeitsanträge, die Tagesordnung. „5.2.1, 5.2.2, 7.1, 8.1“. Nur wenige Ratsleute lassen sich stören, man ordnet seine Papiere oder liest Zeitung. Kurze Aufregung im Plenum, als es darum geht, ob 9.5 von der Tagesordnung genommen werden soll. Die FDP meldet sich zu Wort. Sie fühlt sich von dem möglichen Betrug bei der Kommunalwahl durch gefälschte Briefwahlunterlagen besonders betroffen, immerhin hätten in manchen Wahlbezirken nur 39, 40 Stimmen gefehlt. Stadtkämmerer Peter-Michael Soénius (CDU) wiegelt ab, da sei nichts dran, auf jeden Fall sei die Sache nicht wahlentscheidend. Trotzdem wird mit großer Mehrheit beschlossen, dass Soénius eine schriftliche Beantwortung der offenen Fragen dem Verwaltungsausschuss vorlegen soll.

Dann der erste Höhepunkt des Tages: Die rechtsextreme „Pro Köln“ hat beantragt, dass der OB für die Dauer des Strafverfahrens gegen ihn wegen der umstrittenen Wahlplakat-Finanzierung sein Amt ruhen lässt. Am Rednerpult direkt neben dem OB hält Fraktionschef Manfred Rouhs eine Standpauke. Während die übrigen Ratsleute ihre demokratische Gesinnung durch betontes Desinteresse und emsiges Aktenwühlen demonstrieren, zeigt sich Schramma als aufmerksamer und amüsierter Zuhörer. Als er Rouhs dann nach drei Minuten wegen Überschreitung der Redezeit das Mikrophon abdrehen kann, ist er jedoch sichtlich erleichtert. Zumal CDU-Fraktionschef Herbert Gey Schrammas Ehre mit einer flammenden und heftig beklatschen Gegenrede restlos herstellt.

Nicht viel anders als den Rechten ergeht es Claus Ludwig von „Gemeinsam gegen Sozialraub“ (GGS) beim nächsten Thema, einem GGS-Antrag für ein städtisches Notprogramm für Hartz-Betroffene. Für Ludwigs Argumente, dass die Stadt den gebeutelten Arbeitslosen das Leben nicht mit weiteren Kürzungen erschweren soll, interessieren sich die wenigsten Ratsleute. Einige nutzen die Gelegenheit für den Besuch eines Kollegen ein paar Tische weiter, andere verlassen den Saal gleich ganz – die Kantine ist ein Stock tiefer. Als Ludwig warnt, dass die so genannten Integrationsjobs bald womöglich reguläre Jobs gefährden, kann sich ein CDU-Hinterbänkler eines demonstrativen Gähners nicht mehr enthalten. So subtil wird in Köln Politik gemacht.

Der Saal wacht wieder auf: Die FDP setzt zum Angriff auf die Ladenöffnungszeiten an. Beim Weltjugendtag und während des Confederation-Cup im Sommer könnte man doch mal Sonntags die Geschäftsöffnung erlauben. Zu dem Thema haben auf einmal alle was zu sagen, SPD und CDU sind natürlich für die Öffnung, die Grünen dagegen. Und Jörg Detjen (PDS) belehrt die FDP über ihre eigene Wirtschaftstheorie. Demokratie in Hochform.

Und weiter geht‘s: Schon 18 Uhr und man ist erst beim Dritten von 26 Tagesordnungspunkten. Aber die Ratsleute sind heute schnell, was wohl vor allem daran liegt, dass „Pro Köln“ seine Zermürbungsstrategie aufgegeben hat, immer eine namentliche Abstimmung zu verlangen. Und die anderen haben sichtlich keine Lust, zu politischen Grundsatzreden auszuholen. Mühsam raffen sie sich zu Verbalscharmützeln über die neue Friedhofssatzung und über das Konzept zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements auf.

Zum Glück gibt es zwischendurch auch was zu lachen. Als Schramma eine Anfrage von GGS „zu Hartz fünf“ als Tagesordnungspunkt aufruft, brüllt der ganze Saal. „Soweit sind wir ja noch gar nicht“, korrigiert sich der lustige Oberbürgermeister. Mit den Gedanken war er wohl schon beim Karneval.