Das Bäumchen wächst

Den Schweden geht es bei der Handball-WM wie den Deutschen: Sie hatten eine große Vergangenheit, glauben an eine große Zukunft, können in der Gegenwart aber nicht ganz mithalten

AUS NABEUL FRANK KETTERER

Die ruhmreiche Geschichte begegnet einem an der Café-Bar im engen Presseraum. Sie ist etwas hagerer geworden in der Zwischenzeit, und auch das Haar erscheint etwas dünner – vor allem aber: grauer. Nur das freundliche Lächeln ist immer noch das gleiche – und mit ihm erzählt Magnus Wislander, dass man Geduld haben müsse mit seinen Nachfahren, sehr viel Geduld sogar. Wenn man der ruhmreichen Geschichte dann die Frage stellt, wie lange es wohl dauern wird, bis all die jungen Schweden einmal so gut sein werden, wie es die alten waren, dann mischt sich in das freundliche Lächeln eine rücksichtsvolle Milde, und Magnus Wislander sagt: „Vielleicht nie. Das kann man doch nicht wissen.“

Man kann das wirklich nicht, dafür waren die alten Schweden einfach zu gut. Viermal Europameister sind sie geworden, zweimal Weltmeister, dreimal gewannen sie Silber bei Olympia. Die Handballer aus dem hohen Norden standen für das Feine und Filigrane in ihrem Sport. Mit ihrer nahezu vollendeten Technik haben sie den Welthandball ein ganzes Jahrzehnt bestimmt – und Wislander war einer ihrer Chefs; zum Welthandballer des Jahrhunderts wurde er deshalb sogar gewählt. Doch jetzt steht der 40-Jährige, der für einen schwedischen TV-Sender den Experten gibt, im Pressezentrum an der Café-Bar und sagt: „Die Schweden haben eine sehr junge Mannschaft. Die muss man sehr behutsam aufbauen.“

Vielleicht kann man so eine junge Mannschaft, wie sie die Schweden hierher zur WM geschickt haben, ein bisschen mit einem Bäumchen vergleichen. Auch das muss ja gehegt und gepflegt werden, vor allem muss man ihm Zeit geben zum Wachsen, damit es eines Tages ein richtiger Baum werden kann mit einem starken, festen Stamm – und wieder Weltmeister. „Wir haben eine große Qualität in der Mannschaft“, sagt Marcus Ahlm, der noch mit einem gut Teil der Alten zusammengespielt hat, „aber wir haben Probleme, 60 Minuten lang gut zu spielen.“

Die Probleme der Schweden kann man durchaus mit denen der deutschen Mannschaft vergleichen. Auch die hat ja ihre Besten verloren und kämpft sich in Tunesien mit einer jungen und unerfahrenen Truppe durchs Turnier. „Die Deutschen sind in der gleichen Situation wie wir“, bestätigt Stefan Lövgren, der Kapitän der Schweden, der mit 34 Jahren und knapp 250 Länderspielen zusammen mit seinem Kieler Teamkollegen Johan Pettersson (31) so etwas wie das Bindeglied ist zwischen der alten und der neuen Mannschaft; man könnte auch sagen: eine Art Überbleibsel aus der ruhmreichen Zeit. Und es ist bestimmt kein Zufall, dass beide Teams das Ende ihrer Hauptrundengruppe schmücken und heute gegeneinander um die Teilnahme am Spiel um Platz neun kämpfen (16.15 Uhr/DSF), was ein bisschen traurig machen kann: In alter Besetzung standen sie sich vor drei Jahren noch im EM-Finale gegenüber. Es war der letzte Titelgewinn der Schweden, danach ging es steil bergab: Bei der WM 2003 in Portugal wurden sie 13., bei der EM im letzten Jahr Siebter, die Qualifikation für Olympia in Athen verpassten sie gänzlich. Vielleicht haben sie ein bisschen zu lange gewartet mit dem Neuaufbau. Aber darüber sollte man sich jetzt nicht weiter den Kopf zerbrechen, es ist vorbei, ruhmreiche Geschichte, so wie Magnus Wislander, der Mann aus der Café-Bar.

Zumal das Neue, das da kommt, durchaus Hoffnung macht auf die nächste große Zeit, auch wenn man nie wissen kann, ob sie am Ende wirklich so groß wird wie die gerade zu Ende gegangene. Zumindest die Voraussetzungen scheinen nicht die schlechtesten, denn auch die jungen Schweden haben schon Titel gesammelt; vor zwei Jahren wurden sie Junioren-Weltmeister. Vier Spieler aus dieser Mannschaft sind in Tunesien mit von der Partie, und auch Ingemar Linell, ihr Trainer, ist mittlerweile zum „Senioren“-Coach aufgestiegen. Vor allem Spielmacher Jonas Larholm, gerade mal 22 Jahre alt, sagen die Experten eine große Zukunft vorher. „Er hat hervorragende Anlagen. Er kann der neue Star in Schweden werden“, lobt Magnus Wislander. Vielleicht kann Larholm sogar der neue Wislander werden. Larholm selbst sagt: „Wenn du Weltmeister bei den Junioren geworden bist und weiter hart trainierst, dann kannst du das auch bei den Senioren schaffen.“

Noch sind sie nicht so weit. Die Schweden tun sich schwer hier in Tunesien, was nicht anders zu erwarten war; die neue Mannschaft spielt erst seit einem halben Jahr zusammen. Entsprechend gab es in der Vorrunde Niederlagen gegen Kroatien (27:28) und Spanien (26:33), in der Hauptrunde folgte eine weitere gegen Norwegen (31:34) sowie ein Unentschieden gegen Serbien-Montenegro. „Wir sind einfach noch nicht so weit“, sagt Marcus Ahlm, der Mann vom Kreis. „Aber wir sind auf einem guten Weg.“ Wohin dieser führen kann, skizziert Stefan Lövgren. „Wir werden ideenreicher und schneller spielen als früher.“

Bis zu den nächsten Olympischen Spielen wollen sie sich Zeit dafür lassen, 2008 finden die statt. „Peking ist unser großes Ziel“, sagt Marcus Ahlm. In China könnten sie selbst ruhmreiche Geschichte werden, so wie Magnus Wislander sie heute schon ist. Wislander und seine alten Schweden haben alles gewonnen, was es zu gewinnen gab. Nur nie Gold bei Olympia.