AUSGEHEN UND RUMSTEHEN VON RENÉ HAMANN
: Von Sofagewittern, Diskontapotheken und DJ-Kanzeln

Auch nach bei Magenverstimmung hat die Großstadt Abenteuer zu bieten

Gifte. Gifte sind handelsüblich und normal, sie treiben uns an. Ein Wochenende ohne Gifte ist hingegen ein echtes Abenteuer. Irgendetwas hatte mir den Magen verdorben, so habe ich das Rauchen eingestellt, auf Kaffee und Alkohol verzichtet und die Tage vorzugsweise auf dem Sofa vor dem Fernseher verbracht.

Da lief Spielbergs „Krieg der Welten“, der mir kleine Albträume einbrachte, in denen beispielsweise der nackte Iggy Pop auftauchte, als Alien natürlich. Aber nein, das Wochenende brachte nicht nur Sofawelten durcheinander.

Für den Freitag hatte ich mich an einen Freund und die Lieblingsbar zum Plattenauflegen versprochen, und nach einigen Zweifeln schleppte ich mich tatsächlich mit einem Sack Platten nach Mitte. Es lief ganz gut, Freunde und Freundinnen waren da, die Musik klang gut und kam gut an. Ich trank eine Club Mate, dann eine Melonenbrause und am Ende einen Liter Apfelsaft. Herrje. Zu den Magenschmerzen gesellten sich schnell Kopfschmerzen ob des Koffeinentzugs. Und natürlich der Rauchschwaden, die über den Köpfen in der Bar hingen (die DJs standen oben auf einer Art Kanzel). Das Mädchen habe ich am Ende aber trotzdem nicht bekommen. Zur coolen Ignoranz hat es nicht gereicht.

Samstagmittag entschloss ich mich zu einem Spaziergang über den Kottbusser Damm. Mit konsumistischen Hintergedanken. Von denen allerdings auch die meisten anderen Mitbürgerinnen und Mitbürger bewegt waren. Und zwar so, dass die Ellenbogenkultur wieder einmal deutlich spürbar wurde: Überall herrschte Gedränge, man wurde gerempelt und geschubst. Frauen stellten sich in den Weg, und wo es für eine Person nicht reichte, wurde der Durchgang eben mit einem Kinderwagen verstellt.

Einkaufen am Samstag ist trotz der neuen Ladenschlussgesetze (wie ging es hier eigentlich in den Achtzigern ab?) keine gute Idee.

Eine neue Erfahrung war der Einkauf in einer sogenannten Diskontapotheke. Ihr Kaufraum war wie in einer Geisterbahn aufgeteilt, man musste an allen Schrecklichkeiten vorbei. Sein Medikament bekam man in einer Sondertüte ausgehändigt und musste damit zur Kasse. Als ob man an der Käsetheke gekauft hätte. An der Kasse wurde man gefragt, ob man eine Tüte brauche. Nur die Verpackung gab’s gratis, billiger war’s nicht.Teil drei dieser kleinen Kolumne befasst sich mit dem Sonntagabend. Da haben wir vier Folgen Sopranos geschaut (Seriengift: Bislang war nur die erste Staffel wirklich gut; später kickt es immer mal wieder, aber die Stringenz wird zunehmend löchrig). Im Vorspann stehen immer noch die beiden Türme Manhattans, weit sind wir also noch nicht gekommen. Den Abschluss fand der Abend in dem kargen, aber versprechenden Lokal namens Petuschki. Das liegt in der Pücklerstraße in Kreuzberg, kurz vor der Markthalle. Man erkennt es am großen P. Petuschki ist eine Kleinstadt in Russland, die es durch einen Samisdat-Roman von Viktor Jerofejew zu Ruhm und Ehre gebracht hat. Im Stadtwappen Petuschkis sind zwei goldene Hähne abgebildet. Die recht offenherzige Bedienung war Polin, die selbst gemachte Limonade war gewöhnungsbedürftig, aber der Wein schien gut zu sein. Unterstützung hat der Laden jedenfalls verdient.

Wir sprachen über die Berliner Schnepfenart, darüber, dass man kein Interesse zeigen darf, und all die anderen Spielregeln des Soziallebens, das uns so krank macht. Vielleicht ist auch nur die eigene Paranoia und fehlende Souveränität Schuld, wer weiß. Im Hintergrund lief Musik von Bat For Lashes, irgendwann habe ich mir eine Zigarette angemacht, sie schmeckte nicht. Nach drei Zügen machte ich sie aus. Sonst geht’s mir schon wieder viel besser.