Wirtschaft will den Atomausstieg kippen

Damit ihre AKWs nicht abgeschaltet werden, geben sich Befürworter der Kernenergie plötzlich als Klimaschützer aus

FREIBURG taz ■ Die Industrielobby missbraucht das Argument Klimaschutz zugunsten der Atomkraft: Der Geschäftsführer des Industrie- und Handelskammertages, Martin Wansleben, hat jetzt von der Bundesregierung gefordert, den Atomausstieg aus Gründen des Klimaschutzes rückgängig zu machen. Schon ist in in der Wirtschaft eine alte Debatte neu entflammt.

Zwar ist bislang noch nicht vom Neubau von Atommeilern die Rede – mangelnder Akzeptanz in der Bevölkerung sei Dank. Doch die Forderung, die bestehenden Reaktoren länger am Netz zu lassen, ist aus der Wirtschaft immer häufiger zu hören; auch der neue Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Jürgen Thumann, sprang, kaum im Amt, auf diesen Zug auf. Plötzlich werden so dieselben Verbände, die noch beim Streit um den Emissionshandel von Klimaschutz nichts wissen wollten, bei der Atomkraft zu Klimaschützern.

Beim grünen Bundesumweltminister Jürgen Trittin kommt das nicht gut an. Prompt wies er die Forderungen zurück: Es bestehe „überhaupt kein Anlass, den mit der Stromwirtschaft vereinbarten Atomausstieg infrage zu stellen“, so der Minister. Der aktuelle Vorstoß sei ein „untauglicher Versuch, mit alter und überholter Technik möglichst lange Geld zu verdienen“.

Doch das Agieren der Wirtschaftsverbände hat System: Bei CDU und FDP stoßen sie auf Sympathie. Und so wird der Weg bereitet, um im Falle eines Regierungswechsels den Atomausstieg schnell zu kippen. Insofern dürften die Angriffe auf den Atomkonsens in den kommenden anderthalb Jahren zunehmen.

So unumkehrbar, wie Trittin es gerne darstellt, ist der Abschied von der Nuklearenergie nicht. Daran ändert auch die Mitteilung aus seinem Haus nichts, der Atomausstieg sei 2004 „einen großen Schritt vorangekommen“. 2004 wurde kein einziges Atomkraftwerk abgeschaltet. Und 2003 ging mit dem Reaktor Stade überhaupt der erste Meiler seit dem Atomkonsens vom Netz. Ende April soll nun der Uraltreaktor Obrigheim folgen – als letzter Ausstiegserfolg in dieser Legislaturperiode. Die Zukunft von 17 weiteren Anlagen in Deutschland liegt in den Händen der nächsten Bundesregierung.

Die Profiteure der Atomkraft versuchen nun, gesellschaftlichen Druck aufzubauen: Ohne Atomkraft werden Energiepreise steigen und Treibhausgasemissionen zunehmen, warnen sie. Dabei kann Deutschland auch ohne Atomreaktoren seine Klimaschutzziele einhalten – durch mehr Energieeffizienz. Das Wuppertal Institut rechnete schon letztes Jahr vor, dass in Deutschland ein Viertel des Stroms ohne Komfortverlust durch Technik einzusparen ist. Dann wäre ein Großteil des hiesigen Atomstroms – er macht etwa 30 Prozent am Strommix aus – schon ersetzt. BERNWARD JANZING