Vorhang zu, aber alle Fragen offen

Ist Roger Federer nach seinem Sieg in Paris der beste Tennisspieler aller Zeiten? Die Debatte ist in vollem Gange

Kaum war letzte Ball geschlagen, war sich die Fachwelt einig. Kaum hatte Roger Federer in Paris triumphiert, wurde er in den Olymp befördert. Kaum hatte er sich seinen 14. Grand-Slam-Titel gesichert, wurde die allerhöchste Weihe verteilt.

Die London Times befand nach dem souveränen 6:1, 7:6 (7:1), 6:4-Finalerfolg gegen Robin Söderling: „Nun gibt es keinen Zweifel mehr, wer der Größte aller Zeiten ist.“ Die Süddeutsche Zeitung stieß ins selbe Horn und ernannte Federer zum „besten Spieler der Tennisgeschichte“. Auch der überforderte Endspielgegner aus Schweden meinte, er sei „vom besten Spieler in der Historie“ geschlagen worden. Und selbst Pete Sampras, dessen Rekord an Grand-Slam-Titeln Federer in Paris einstellte, erklärte den 27-jährigen Schweizer zum „Besten aller Zeiten“.

Nun, da kann man zumindest noch mal drüber nachdenken. Tatsächlich sprechen die nackten Zahlen für Federer: 14 Grand-Slam-Titel hat sonst nur Sampras gewonnen, der aber hat niemals in Paris triumphiert. Federer hat 20-mal hintereinander das Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers erreicht: Ein nie vorher da gewesenes Muster an Beständigkeit. Auch ist er überhaupt erst der sechste Spieler, der bei allen vier großen Turnieren den Pokal küssen durfte, nach dem Briten Fred Perry, Don Budge und Andre Agassi aus den USA, und den Australiern Roy Emerson und Rod Laver. Federer ist zudem nach Agassi erst der zweite Spieler, der Grand-Slam-Turniere auf drei verschiedenen Böden gewann, weil in New York bis 1974 und in Melbourne bis 1988 auf Gras gespielt wurde.

Laver vor allem allerdings, finden viele, macht Federer trotzdem den Titel als „Bester aller Zeiten“ streitig: Gewann der doch alle Grand-Slam-Turniere in einem Kalenderjahr – und das gleich zweimal: 1962 und 1969. Eine Leistung, die Agassi als „gottgleich“ einstuft. Insgesamt hat Laver aber nur elf große Titel gesammelt. Allerdings waren die Grand-Slam-Turniere bis 1968 Amateuren vorbehalten: Laver wurde 1963 Profi und durfte nicht mehr antreten. In diesen fünf Jahren, da kann man sicher sein, hätte er seine Titelsammlung wohl uneinholbar erweitert. Oder der oft vergessene Pancho Gonzalez, der Ende der Vierziger zweimal in Forest Hills und einmal in Wimbledon gewann, und dann anderthalb Jahrzehnte lang der dominierende Profi der Welt war: Manchem Experten gilt der Amerikaner als der Beste, der jemals Tennis spielte, aber er konnte es nicht mehr mit großen Titeln nachweisen: Gonzales war bereits 40 Jahre alt, als die Open-Zeit begann und er wieder Grand Slams spielen durfte.

Bleibt Federer, könnte man meinen, wenigstens der Titel als bester Spieler der Open-Ära. Doch auch das ist diskutierbar, schon weil die beschwerliche Reise nach Australien lange nicht auf dem Turnierplan der allermeisten Profis stand: Ein Björn Borg (11 Grand Slams) trat nur ein einziges Mal bei den Australian Open an und verlor in der dritten Runde. Auch ein Jimmy Connors (8) spielte gerade zweimal down under, siegte dort aber 1974 wenigstens.

So gilt wohl, was Brad Gilbert angesichts von Federers Errungenschaften und der damit einhergehenden Diskussion sagte: „Ob er der Größte aller Zeiten ist?“, fragt sich auch der Exprofi und berüchtigte Coach, „ich glaube nicht, dass man das endgültig sagen kann. Es hat sich einfach zu viel verändert mit den Jahren.“ Denn es ist wohl so: Wäre es möglich, Laver heute gegen Federer antreten zu lassen, beide auf der Höhe ihres Könnens, dann hätte Laver trotzdem keine Chance. Die heutigen Profis sind durch die Bank besser trainiert, wesentlich kräftiger und haben mehr Ausdauer. Und sie verfügen über Hightechmaterial, mit dem extreme Schläge möglich sind, die noch vor 15 Jahren kaum denkbar schienen.

Aber: Macht das Roger Federer zum besten Tennisspieler aller Zeiten? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Eins immerhin dürfte sicher sein: Die Diskussion wird uns noch ewig beschäftigen. THOMAS WINKLER