„Die Arbeitslosen haben Angst vor Schikanen“

Die Arbeitslosigkeit ist hoch wie nie, aber protestiert wird kaum. Weil die Erwerbslosen Angst haben, sagt die Anti-Hartz-Aktivistin Dagmar Schediwy

taz: Frau Schediwy, es gibt so viele Arbeitslose wie nie zuvor. Warum kommt es nicht zum Protest?

Dagmar Schediwy: Den gibt es durchaus, aber über die Montagsdemonstrationen wird nicht mehr berichtet.

Aber die große Protestwelle ist ausgeblieben. Fehlt die Wut?

Nein die Leute, die zu den Arbeitsagenturen gehen müssen, sind sehr wütend. Viele Leute sagen, sie würden gern den ganzen Laden in die Luft sprengen. Allerdings gibt es wenige Protestaktionen, weil die Erwerbslosen Existenzangst haben. Viele von ihnen haben zu wenig oder kein Geld bekommen. Sie haben Angst, dass ihnen das fehlende Geld nicht ausgezahlt wird.

Dann gäbe es immer noch die Möglichkeit von Demonstrationen.

Ja aber Erwerblose outen sich nicht gerne. Dieses Stigma des Versagers und des faulen Schmarotzers haftet Erwerblosen immer noch an. Dennoch sind im letzten Jahr so viele Erwerbslose auf die Straße gegangen. Im Gegensatz zu den Medien oder vielen Politikern sehe ich das durchaus als Erfolg, weil endlich einmal so viele Erwerbslose gemeinsam auf Montagsdemonstrationen gegangen sind.

Fünf Millionen Leute sind arbeitslos, auch in den reichsten Gegenden kann man arbeitslos werden. Welchen Grund gibt es noch, sich zu schämen?

Das ist doch blauäugig. Das ganze Hartz-IV-System beruht doch auf der Annahme, dass Erwerbslose nur zu faul zum Arbeiten sind und deshalb angetrieben werden müssen. Dieses Stigma existiert, und es ist neben der Angst vor Schikanen der Behörden der Grund, warum es derzeit keine Proteste gibt.

Wenn Sie von Schikanen sprechen, klingt das verschwörungstheoretisch. Gibt es solche Erfahrungen?

Die Behörden arbeiten oft so, dass die Leute sich schlecht behandelt fühlen. Oftmals wissen die Erwerbslosen nicht einmal, an welche Arbeitsagentur sie sich wenden sollen. Sie haben eine Postadresse bekommen, bei der sie sich melden sollen, und bekommen auf drei oder vier Schreiben keine Antwort.

Oder nehmen wir die 1-Euro-Jobs. Eine Beschäftigungsagentur in Hamburg hat Putzkräfte einen Boden wischen lassen, der dann wieder dreckig gemacht wurde, um wieder putzen zu lassen. Es gibt viele dieser Beispiele, und so ist es kein Wunder, dass die Erwerbslosen von den Behörden Schlechtes erwarten.

Deshalb sind die Erwerbsloseninitiativen auch gegen die 1-Euro-Jobs, obwohl viele Erwerbslose gern einen hätten?

Ja sie sind dagegen, denn die 1-Euro-Jobs sind ein Geschäft. Die Beschäftigungsagenturen kassieren 300 Euro pro Jobber, und dafür testen sie die Arbeitswilligkeit des Erwerbslosen. Das kann mit völlig sinnlosen Arbeiten passieren. Natürlich hätten viele Arbeitslose gerne dennoch einen 1-Euro-Job, denn andere Zuverdienstmöglichkeiten gibt es kaum noch. Inzwischen überlegen sogar einige Initiativen, 1-Euro-Jobs zu schaffen, weil die ABM-Stellen für soziale Projekte fast alle gestrichen werden. Politisch sind sie dagegen, aber praktisch werden sie gezwungen, sich zu arrangieren.

Wird es noch Proteste geben?

Das kann passieren, bisher hat noch niemand Kontakt zu seinem Fallmanager gehabt. Wenn die Leute erst einmal merken, in welchem Maße diese Manager über ihr Leben bestimmen, werden sich viele zur Wehr setzen.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ