HAMBURGER SZENE VON JAN KAHLCKE
: Der Schuh des Rappers

Eine politische Demonstration? Oder ein Sleep-In aus Solidarität mit Obdachlosen? Immerhin: Wir sind im Karoviertel

Die Nacht ist nicht mehr ganz jung, als wir in die Kneipe stolpern. Vor dem Haus sitzen Menschen in Liegestühlen, gegen die Schafskälte in Decken gehüllt. Manche sind aneinander gekuschelt auf dem Pflaster eingeschlafen. Eine Demonstration? Oder ein Sleep-In gegen Obdachlosigkeit? Immerhin ist es die Marktstraße, mitten im einst rebellischen Karoviertel.

Zwei Bier später sind die Leute draußen noch eine Spur tiefer in die Schlafsäcke gerutscht. Mein Kollege schaltet zuerst: „Ob da morgen Konzertkarten verkauft werden?“ Aber im Schaufenster sind nur Turnschuhe zu sehen. Er fragt, worauf sie warten. „Morgen früh gibt es hier die neuen Nike-Sneakers“, kommt aus einer Wolldecke zurück, „designed von Kanye West“. Noch so ein Rapper, der sich nicht mehr vom Wort allein ernährt. 220 Euro sollen die Schuhe kosten. Es soll nur 46 Paar geben. Ehrlich gesagt, sehen sie beschissen aus, mit dem Klettverschluss aus genarbtem Plastik über den Schnürsenkeln. Wie aus dem Sanitätshaus.

Die Wartenden müssen das anders sehen. Einer war ganz clever: Er hat sein SUV-Monstrum genau vor der Ladentür geparkt, schläft hinter dem Steuer. Auf dem Armaturenbrett leuchtet noch sein Mini-Notebook. Musste wohl noch ein bisschen arbeiten, damit er am nächsten Morgen 220 Euro übrig hat. Oder nur die Aktienkurse checken. You’ve come a long way, Marktstraße!