Heiße Zeiten haben schon begonnen

Das Eis am Südpol schmilzt schneller als erwartet. Und der Klimawandel, sagen nun Forscher, rückt bedrohlich nah

DUBLIN taz ■ Es ist alles viel schlimmer als angenommen. Bisher waren die Wissenschaftler davon ausgegangen, dass das Abschmelzen der westantarktischen Eisdecke erst kommende Generationen betreffen werde. Untersuchungen haben nun ergeben, dass jedes Jahr 250 Kubikkilometer Eis ins Meer rutschen.

Die Eisschmelze in der Westantarktis lasse den Meeresspiegel jedes Jahr um einen Fünftel Millimeter ansteigen. Sollte das Eis vollständig abschmelzen, würde der Meeresspiegel weltweit um 4,9 Meter steigen. Das sagte Chris Rapley vom British Antarctic Survey auf einer dreitägigen internationalen Klimakonferenz, die gestern in der südostenglischen Stadt Exeter zu Ende ging. Rapley: „Was wir jetzt entdeckt haben, eröffnet die Debatte völlig neu.“

Tony Blair hatte die Konferenz einberufen. Der Premierminister will den Klimawandel zu einem Hauptthema während der britischen EU-Präsidentschaft und beim G-8-Gipfel im Sommer machen. Seine Umweltministerin Margaret Beckett sagte, dass „größere Auswirkungen der Erwärmung in den nächsten 20 bis 30 Jahren nicht mehr zu verhindern“ seien.

Bill Hare vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung malte ebenfalls ein düsteres Bild. Er stellte einen detaillierten Zeitplan für die Klimaerwärmung auf: Die Temperaturen liegen heute schon 0,7 Grad über denen vor der industriellen Revolution. Die 1-Grad-Marke wird innerhalb der nächsten 25 Jahre überschritten. Als Erstes werden die sensiblen Ökosysteme der tropischen Hochlandwälder im australischen Queensland in Mitleidenschaft gezogen.

Mitte des Jahrhunderts wird die Temperatur um 2 Grad höher liegen als vor der industriellen Revolution. Dann beginnt der Abschied von Eisbär und Walross. Für Lachs und Forelle wird es in den Flüssen der Rocky Mountains zu warm. Die Korallenriffs sterben ab, die Mittelmeerländer werden von Insektenplagen heimgesucht.

Dramatisch wird es, wenn die Klimaerwärmung 3 Grad erreicht. Das wird schon früh in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts der Fall sein. Der Regenwald im Amazonasgebiet sowie die Bergflora in Europa und Australien werden zerstört. Die Fynbos, Südafrikas Blumenparadies mit mehr als 8.000 Arten, und die Laubwälder in China verschwinden allmählich. Für 1,5 Milliarden Menschen wird das Trinkwasser knapp.

Wenn der Temperaturanstieg ab 2070 die 3-Grad-Marke überschreitet, ist die Katastrophe perfekt. Das arktische Eis schmilzt ganz weg, immer weniger Regionen sind für den Anbau von Nahrungsmitteln geeignet, Hungerkatastrophen und Trinkwasserknappheit gehören zum Alltag, das Bruttosozialprodukt sinkt weltweit ins Bodenlose.

Die Klimaveränderungen seien „so weit reichend und nicht umkehrbar in ihrer zerstörerischen Kraft, dass sie die menschliche Existenz radikal verändern“ werden, räumte Blair ein. Die Umweltschutzorganisation Friends of the Earth warf Blair vor, seine Regierung habe bisher nichts gegen den Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid unternommen. Er sei zwischen 1990 und 1997, als Labour an die Macht kam, zwar um 7,5 Prozent gefallen. Aber dann habe sich nichts mehr getan.

RALF SOTSCHECK