Jeder nach seiner Fasson

Computer sind angesagt, auch bei Kindern – und sie eröffnen individuelle Wege beim Lernen. Häufig sind Schüler bei der Arbeit am Bildschirm ausgeglichener als im herkömmlichen Unterricht. Eine Leseplattform im Internet zeigt, wie es funktioniert

VON JEANETTE GODDAR

Für Luisa geht nichts über die Fünf Freunde. Als hätte Enid Blyton die Abenteuer von Julian, Anne, Dick, George und Timmy Geschichten nicht schon vor fünfzig Jahren geschrieben, wühlt sich die kleine Kreuzbergerin jeden Abend im Bett durch die Seiten. Egal ob die fünf im Zeltlager oder auf Schmugglerjagd sind – Luisa entgeht nichts. Ob „Von wem haben die Jungen das Angebot bekommen, über Nacht zu bleiben?“ oder „In der Stadt begegnet ihnen Herr Block/Schwarz/Schleicher?“ – jede Frage, die der Bildschirm ihr präsentiert, kann die Zehnjährige beantworten. Und jedes Mal wenn sie sich an den Rechner setzt, sammelt sie ein paar Punkte mehr.

Luisas Klasse ist unter www.antolin.de, einer Plattform zur Leseförderung im Internet, angemeldet. Wer die Viertklässler der Kreuzberger Reinhardswald-Schule in ihrer Antolin-Lesestunde besucht, stellt schnell fest, dass schon Grundschüler viel mit dem Computer anfangen können. Die Kleinen sind mit großem Spaß – und mit völlig grundschuluntypischer Ruhe – bei der Sache. 15 Kinder sitzen da und geben ein, was sie gelesen haben und wozu sie Fragen beantworten wollen. Und ihre Lehrerin sitzt zwischen ihnen und verfolgt bei dem ein oder anderen, wie sich das Leseverhalten über die Wochen so entwickelt. Dafür guckt sie über die Schulter ihrer Schüler, oder auf ihren eigenen Bildschirm: Per Mausklick kann sie verfolgen, woran ihre Schüler gerade arbeiten und wie viele Fragen sie richtig oder falsch beantworten. Manchmal schickt Luisas Lehrerin ihren Schülern sogar von zu Hause via Antolin eine Mail. Mit ein paar aufmunternden Worten, einem Buchtipp oder der Ermunterung, gründlicher zu lesen.

Der Blick in die Schule an der Gneisenaustraße zeigt aber auch: Schon Grundschüler können mit Maus und Tastatur etwas anfangen. Behände suchen die kleinen Finger die Tastatur und finden früher oder später, was sie suchen. Luisa, 9, schreibt in unter drei Minuten sogar eine komplette Mail an ihre Lehrerin: „Könntest du vielleicht auch installieren das ich zum Beispiel Lisa etwas schreiben kann?“

Schulleiter Werner Munk hat die Erfahrung gemacht, dass der Computer spätestens bei Kindern, die lesen und schreiben können, ein sinnvolles Lerninstrument ist. „Kinder sind fasziniert von Computern – allein das hilft dabei, sie auch für Inhalte zu begeistern, die ihnen sonst häufig schwer fallen“, erzählt Munk. Lesen zum Beispiel, aber auch der Umgang mit Zahlen oder frühes Englisch werden, mit bunten Animationen verbunden, spannender.

Dazu kommt, dass Medienkompetenz an sich ein Wert ist. „Je früher Kinder lernen, mit neuen Medien umzugehen, desto leichter fällt es ihnen“, sagt Sabine Misch, IT-Didaktikerin an der Schule. Misch beobachtet auch, dass die Schüler bei der Arbeit mit Computern häufig ausgeglichener sind als im herkömmlichen Unterricht. Anders als sonst hätten nämlich Schüler, die allein oder in Gruppen am Rechner arbeiteten, nicht ständig das Gefühl, nicht mitzukommen, zu langsam oder zu schnell zu sein. Jeder lerne in seinem Tempo und entsprechend seiner Persönlichkeit. „Manche beschäftigen sich lieber lange mit einem Detail; andere wollen lieber von allem ein bisschen wissen“, beobachtet Misch, „wenn alle das Gleiche machen, ist das schwer aufzufangen.“ Damit lernt man bei dem Schulbesuch aber noch etwas: Der Einsatz neuer Medien entspricht nicht nur dem Leben in der modernen Welt. Er kann auch ein Vehikel sein – auf dem Weg zu einem modernen Unterricht, der sich an alle und nicht nur an manche Schüler richtet.