Staatszentrismus pur

Wer sich genau über die politische Klasse in Deutschland informieren will, muss einfach nur dieses „biographische Handbuch“ lesen

Die politische Klasse der Bundesrepublik Deutschland umfasst 4.400 Personen und hat sogar ihren Cajus Julius Caesar. Der ist allerdings kein deutscher Kaiser, sondern ein 1951 in Rinteln geborenen Bundestagsabgeordneter evangelischen Glaubens aus Detmold, der früher als Revierförster tätig war. Über Etappen wie den Bezirksvorstand der Junge Union in Ostwestfalen und die Mitgliedschaft im Lippischen Kreistag zog er in das deutsche Parlament ein, wo er sich nun auf Naturschutz und Reaktorsicherheit spezialisiert hat.

Das ist die Sorte akribischer Detailinformation, die das aktuelle „Biographische Handbuch der deutschen Politik“ von Abeln bis Zypries auf über 1.200 Seiten versammelt. Aufgenommen wurden alle vom (alten) Bundespräsidenten Rau über die MdBs bis zu den Bürgermeistern von Städten mit mehr als 50.000 Einwohnern, eingeschlossen die Mitglieder der Landtage und des Europäischen Parlaments und die Vorstände diverser Interessengruppen sowie die Karlsruher Richter und das Spitzenpersonal der in Bundes- und Landtagen vertretenen Parteien.

Das ergibt eine differenzierte Momentaufnahme der politischen Führung in der laufenden Legislaturperiode (Stand: Ende 2003), folgt aber auch einem konventionellen, staatszentrierten Verständnis des politischen Systems. Denn diverse Nichtregierungsorganisationen und außerparlamentarische Gruppen haben längst den Rang „gesellschaftlich relevanter Gruppen“ erreicht und wirken am politischen Entscheidungsprozess mit – kommen aber hier kaum vor. Diese Leerstelle müssen andere Lexika und Verzeichnisse füllen.

Hier sollen jedoch die enormen Verdienste eines Handbuchs herausgestellt werden, das eine prosopographische, die heute Politikergeneration umfassende Gesamtschau erlaubt. Die Einträge, die von drei Zeilen bis zu über einer Seite reichen, sind standardisiert, jeweils chronologisch gegliedert nach biographischem Werdegang, Mitgliedschaften in Vereinen, Verbänden, Aufsichtsräten, Vorständen, Stiftungen etc.

Man erfährt alles über Parteikarrieren, kommunalpolitisches Engagement, Mitgliedschaft in Volksvertretungen und Regierungen sowie im Bundesrat und der Europäischen Kommission. Angegeben sind ferner Auszeichnungen, Veröffentlichungen und Adressen. Der Anhang verzeichnet aktuelle Wahlergebnisse und die Zusammensetzung von Regierungen, Parlamenten und Parlamentsausschüssen nach Bund und Ländern sowie die Bürgermeister von 188 Städten von Wowereit (Berlin) bis Decker (Neunkirchen). Ein Register aller Einträge nach Geburtsort erlaubt schließlich die Re-Lokalisierung der politischen Elite von Aachen bis nach Zwiesel.

Das Handbuch leistet alles, was es seiner Art nach leisten kann, und bietet für Bürger wie Wissenschaftler eine profunde Quelle, nebenbei auch einen Schmöker für allerhand Kuriosa. Genau in dieser Perfektion lässt es auch wieder ein Pendant vermissen, wie es der „Almanach der amerikanischen Politik“ jährlich neu bietet. Der verzeichnet nicht nur die „harten Fakten“, sondern auch eine nach Staaten geordnete Geschichte der politischen Ereignisse, zusätzlich erfährt man das Abstimmungsverhalten von Senatoren und Abgeordneten in einem viel heterogeneren und weit mehr in der lokalen Politik zentrierten politischen System.

CLAUS LEGGEWIE

„Biographisches Handbuch der deutschen Politik“. Bearbeitet von Bruno Jahn, 2 Bände, K. G. Saur Verlag, München 2004, 1.262 Seiten, 398 Euro