crime scene
: Gute alte Schule

Graue Wolken, Zweifel, Depressionen. Dabei geht es gerade erst los. Noch zwei, drei Wochen, dann erscheint ein neuer Dan Brown, John Grisham legt nach, und John Le Carré wird wieder einmal den Jahrhundertroman liefern. Irgendwas wird im Frühjahrsprogramm schon dabei sein, keine Frage, aber du trittst mit dem Fuß gegen den Papierhaufen neben deinem Schreibtisch, und während sich die Verlagsvorschauen über den Boden ergießen, schwörst du, dass du endgültig Schluss machen wirst mit dieser schmutzigen Droge namens Thriller, die dir außer ein paar schlaflosen Nächten und miserabel bezahlten Rezensionen nicht viel eingebracht hat.

Doch irgendwo in einem Bücherstapel liegt noch dieser Band, um den du schon seit Monaten herumschleichst, ein Roman aus den frühen Achtzigerjahren, keine große Sache. Jetzt greifst du ihn dir mit zittrigen Fingern und machst dich noch einmal auf die Suche nach dem reinen, unverschnittenen Stoff, den zuletzt Chandler und ein paar andere produziert haben, nach einem Kriminalroman also, der dich gleich mit den ersten Sätzen kalt erwischt. „Blum sah auf die Uhr. Höchste Zeit“, beginnt Jörg Fausers Roman „Der Schneemann“, 1981 erschienen und jetzt neu aufgelegt. Du liest und liest, und nach ein paar atemlosen Stunden willst du sofort mindestens 10.000 Zeichen über Schönheit, Dreck und Wirklichkeit in den Computer hauen, aber als das Flimmern vor deinen Augen nachlässt, fällt dir kein einziger vernünftiger Satz zu diesem unglaublichen Buch ein.

Ein bisschen Inhalt geht natürlich immer. Blum – einfach Blum, kein Vorname – hält sich auf Malta mit dem Verkauf von Pornoheften über Wasser, als er eine Lieferung Kokain in die Hände bekommt, Peruvian Flakes, 96 Prozent, direkt vom Erzeuger, und davon gleich einen ganzen Koffer voll. Für das Geschäft seines Leben nimmt Blum sogar den deutschen Winter in Kauf. Zuerst versucht er, seinen Zufallsfund in München abzusetzen. „Draußen fiel jetzt Schneeregen, und die Stadt sah aus wie ihr eigener Friedhof. Krähenschwärme flatterten über das Olympiastadion.“ Es gibt einige solcher Sätze, dazu kommen schmierige Hotelportiers, versoffene Partys und knappe Dialoge: Das ist der dreckige Realismus von Jörg Fauser, einem Schriftsteller, der nur deshalb einen Krimi geschrieben hat, weil er endlich einmal mit einem Buch Geld verdienen wollte. Und „Der Schneemann“ ist ganz bestimmt pure Ökonomie. Jedes einzelne Satzzeichen folgt einer strengen Kosten-Nutzen-Rechnung, die aus einer anständigen Geschichte – wie verkauft man drei Kilo Koks? – den besten deutschen Thriller aller Zeiten gemacht hat. Auf diesen Stoff hast du dein Leben lang gewartet.

Jörg Fauser ist tot. 1987 starb er im Alter von 43 Jahren auf der Autobahn, und vielleicht würdest du dich jetzt noch mit der Theorie beschäftigen, dass sein Tod kein Unfall war, wenn im Internet nicht plötzlich Jean-Patrick Manchette erwähnt würde, ein französischer Schriftsteller, den Fauser angeblich in den Siebzigerjahren für sich entdeckt hat. Nenn es Zufall, Schicksal oder Verhängnis: Manchettes ebenfalls 1981 erschienener Roman „Position: Anschlag liegend“ steckt genau wie der „Der Schneemann“ seit ein paar Monaten in dem Stapel ungelesener Bücher. „Es war Winter, und es war Nacht“, so geht es los, und du brauchst nur diesen einen Satz, um in die einsame und dunkle Welt von Martin Terrier abzutauchen, der für die Liebe einer Frau seinen Job als Profikiller aufgeben will. Doch seine Auftraggeber zwingen ihn, einen letzten, selbstmörderischen Auftrag anzunehmen, und Manchette erzählt diese von Anfang an hoffnungslose Geschichte so schlicht und kalt, dass du zuletzt, wenn du das Buch zuschlägst, stundenlang einfach nur aus dem Fenster starrst. Schneewolken, Erschöpfung, Glück. KOLJA MENSING

Jörg Fauser: „Der Schneemann“. Alexander Verlag, Berlin 2004, 263 Seiten, 19,50 Euro Jean Patrick Manchette: „Position: Anschlag liegend“. Aus dem Französischen von Stefan Linster. Diestel Verlag, Heilbronn 2004, 191 Seiten, 10,80 Euro