Unheimlicher Spaß gegen soziale Kälte

Zum heutigen Geisterzug kommen auch die Montagsdemonstranten und Attac. Mit dem Motto „Iesije Zigge“ knüpfen die Veranstalter an die politische Tradition des Zuges an. Doch auch diesmal wird das Feiern den meisten am wichtigsten sein

VON MELANIE KATZENBERGER

Vielleicht klappt heute Abend wieder die Vereinigung von alternativem Straßenkarneval und politischem Protest: Attac Köln und die Organisatoren der Montagsdemo haben dazu aufgerufen, den „Geisterzug“ als Plattform für politische Forderungen zu nutzen (siehe Kasten). Der Zug würde dann an seine Geburtsstunde anknüpfen.

Denn angefangen hat alles mit einer Protestaktion gegen den Golfkrieg 1991, erzählt Erich Hermans, der als Vater des Geisterzugs gilt. Damals war der heute 49-Jährige im Kölner Friedensforum aktiv und verteilte am Rosenmontag Flugblätter auf dem Alter Markt. Die USA waren in den Irak einmarschiert, das Festkomitee Kölner Karneval hatte aus „Solidarität“ die offiziellen Umzüge abgesagt. Doch nicht alle Narren wollten sich das Feiern verbieten lassen. Hella von Sinnen rief zu einem Karnevalszug auf. Auf dem Alter Markt trafen „ihre“ Narren die Friedensaktivisten, gemeinsam zog man weiter – Köln hatte den Geisterzug empfangen. Offiziell geboren wurde er im darauffolgenden Jahr. Seitdem ziehen am Karnevalssamstag traditionell Hexen, Gespenster und Knochenmänner im Fackelschein zu Sambarhythmen durch die Stadt.

Ganz neu ist die Idee allerdings nicht. Bereits im Mittelalter habe es Geisterzüge gegeben, sagt Hermans: „Da hat man sich über soziale Missstände ausgelassen.“ Er und seine Mitstreiter haben diese Tradition wiederbelebt. Organisiert sind sie im Verein Ähzebär un Ko e.V., in ständig wechselnder Besetzung. „Manchmal waren wir 20, einmal nur zu zweit“, sagt Hermans. Er ist als einziger von Anfang an dabei.

Trotz aller Widrigkeiten – interne Querelen, Geldmangel, Schwierigkeiten mit dem Ordnungsamt – ist es ihnen seit dem Golfkrieg jedes Jahr gelungen, einen Geisterzug auf die Beine zu stellen. Eine Ausnahme allerdings ist das Jahr 2000: Wegen Geldmangel wurde der Zug offiziell abgesagt. Doch weil trotzdem Zehntausende kamen, zogen die jecken Geister auch diesmal durch Köln. Als fester Bestandteil des Kölner Karnevals wird der Geisterzug inzwischen auch von der Stadt bezuschusst, bleibt aber auf Spenden angewiesen.

Und das politische Anliegen? „Die meisten wollen einfach nur feiern“, weiß Hermans. Ergebnisse einer Untersuchung des Amts für Rheinische Landeskunde (ARL) in Bonn belegen das. Die Volkskundlerin Gabriele Dafft hat in den Jahren 2000 und 2001 zusammen mit einer Kollegin und einem Kollegen etwa 50 TeilnehmerInnen des Geisterzugs befragt und herausgefunden: „Der Spaß ist das wichtigste Motiv.“ Der Geisterzug ist etwas Unorganisiertes, etwas Anarchistisches, bei dem jeder ohne Anmeldung und ohne „Teilnahmegebühr“ mitgehen kann. Das mache den Reiz aus, so Dafft. „Das politische Motto des Zuges ist vielen gar nicht bekannt“, sagt die 34-Jährige. Hermans ärgert sich darüber genauso, wie über TeilnehmerInnen, die sich keine Mühe mit ihren Kostümen geben, ungeschminkt erscheinen oder sich vorher nicht über die Strecke informieren und dann in kleinen Gruppen orientierungslos umherirren. Ein Phänomen, das jedes Jahr zu beobachten ist.

Vor diesem Hintergrund verwundert auch ein weiteres Ergebnis der Studie nicht: Alternativer und organisierter Karneval schließen einander nicht aus. Die zum Großteil 20- bis 30-Jährigen Geisterzügler stehen oft zwei Tage später beim Rosenmontagszug im Kamelleregen. „Viele können beides verbinden“, sagt Dafft. Ihr Chef, Fritz Langensiepen, Leiter des ARL, nennt das „eine rheinische Leistung“. Extreme Positionen in Einklang zu bringen sei typisch für die hiesige Mentalität. Das ist es, was den Geisterzug für die Volkskundler interessant macht. Die rheinische Wesensart zeigt sich dort an der Oberfläche. Dazu gehört die Bereitschaft, Normen außer Kraft zu setzen, aber auch der Wunsch nach Ausgleich, nach Harmonie. So sieht man – im Gegensatz zu Halloween – beim Geisterzug nicht nur düstere Verkleidungen. Fotos, die Dafft während ihrer Untersuchung aufgenommen hat, zeigen neben bleichen Gespenstern mit tiefen Augenringen auch strahlende Clownsgesichter. Das ist ebenfalls typisch rheinisch, sagt Dafft, „dass es dann doch nicht so schlimm kommt.“