Unfallrettung unter Druck

Die Notfallrettung der Hamburger Feuerwehr wird gleich von mehreren Seiten attackiert: Einerseits wird mehr Kostendeckung angemahnt, andererseits weigern sich die Krankenkassen, die schon lange überholten Kostenpauschalen anzuheben

Von Kai von Appen

Es geht in diesen Wochen um die Zukunft des Hamburger Rettungswesens. Das Begehren der privaten Hilfsorganisationen, einen weiteren Fuß in die Notfallrettung zu bekommen, hat Innensenator Udo Nagel – wie berichtet – abgewiesen. Denoch hat der CDU-Senat dem Parteilosen auferlegt, mindestens drei Millionen Euro mehr Kostendeckung zu erzielen. Die Innenbehörde strebt daher eine höhere Kostenpauschale pro Notfallrettung an. Das aber lehnen die Krankenkassen strikt ab. Das Poker wird laut Innenbehördensprecher Reinhard Fallak im März in einer Schiedsstelle entschieden.

Ein scheinbarer Routineeinsatz vor zwei Wochen: Eine Frau wählt den Notruf 112, da es ihr schlecht geht. Es rast ein Rettungswagen (RtW) mit zwei Rettungsassistenten zur Einsatzstelle. Erste Diagnose: Schlaganfall! Die vorsorglich schon vom Feuerwehrdisponenten georderte Notärztin ist nur zwei Minuten später mit dem Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) vor Ort. Die Diagnose bestätigt sich, sofortiger Abtransport nötig. Das Problem: Die Patientin wiegt 210 Kilogramm und wohnt im vierten Stock. Ein Gerätezug der Feuerwehr rückt mit Blaulicht an, um die Frau in ein Schlauchboot transportfähig zu betten.

Weitere Feuerwehr-Handwerker übernehmen den Part, das Fenster der Wohnung auszubauen, während vor der Tür der angerückte Feuerwehrkran in Position gebracht wird. Behutsam wird die Frau im Boot per Kran aus dem Fenster gehievt, um dann im Großraumrettungswagen der Feuerwehr, da sie in keinen RtW passt, notversorgt zu werden. Die Feuerwehr kann für diesen Einsatz im Prinzip nur die festgelegte Pauschale von 272 Euro und 50 Cent abrechnen. Zu wenig für die heutige Zeit. Denn der Kostensatz basiert auf Berechnungen von 1993 und wurde seither nicht angehoben.

Offiziell ist von der Feuerwehr zu dem Poker mit den Krankenkassen und Unfallversicherungen kein Kommentar zu bekommen. Doch Feuerwehrmann Karsten Schulz* hält kein Blatt vor den Mund: „Es braucht nicht mal ein Ereignis wie in Madrid – aber bald ist WM – und da könnte schnell eine Großlage eintreten“, mahnt er. Er warnt deshalb davor, das Hamburger Rettungswesen als „Selbstbedienungsladen“ anzusehen und es aus „profitorientierten Interessen“ zu schröpfen. „Hamburg hat ein Rettungssystem, auf das man stolz sein kann.“

So seien 50 RtW rund um die Uhr besetzt, 17 weitere der Technischen Reserve seien sofort einsatzbereit. „Zur Not wird ein Löschzug geschickt, denn jeder Feuerwehrmann ist zugleich Rettungsassistent“, schwärmt Schulz. „Wenn bei einem Verkehrsunfall eine eingeklemmte Person befreit werden muss, dann werkelt da nicht nur ein Handwerker und Feuerwehrmann, sondern zugleich ein ausgebildeter Rettungsassistent“, bekräftigt Schulz. „Bei einer Großlage kann in Hamburg die Feuerwehr auf einen Schlag 400 Rettungsassistenten vor Ort aufbieten.“ Bei jedem Unfall soll nach den Vorgaben in fünf Minuten ein Rettungswagen vor Ort sein, in zwölf ein Notarzt.

Dass so etwas nicht zum Nulltarif zu haben ist, gesteht auch sein Kollege Sebastian Meyer* ein. „Natürlich kostet eine gute Ausbildung und Spezialfahrzeuge bereitzuhalten etwas“, sagt er. Und darin liegt das Problem. Die Pauschale für einen Rettungseinsatz, so auch bei der 210 Kilo-Frau, beläuft sich seit zehn Jahren auf dem Level von 272,50 Euro – egal was für Spezialfahrzeuge zum Einsatz kommen: Ob der RtW, NEF, der SAR-Rettungshubschrauber, die beiden Seuchentransport-Rettungswagen oder der Kran. Und wenn eine Person „bei einer Hilfeleistung ohne Beförderung“ nicht in eine Klinik transportiert wird, gibt es gar nichts: Der umgekippte Zecher, der dann doch nach einigen Klapsen an die Wangen wieder auf die Beine kommt, oder die alte Dame, die sich nach ihrem Sturz wieder aufrappelt und partout nicht ins Krankenhaus will, sondern sich lieber vor der Nachbarin zum Arzt fahren lässt. „Betriebswirtschaftlich muss die Pauschale erhöht werden“, bekräftigt Meyer.

Die Innenbehörde ist in den Verhandlungen mit den Kassen mit ihrer Forderung, die Pauschale auf 400 Euro pro Noteinsatz zu erhöhen, bisher gescheitert. Die Kassen weigern sich, für Kosten für „Vorhaltung“ von speziellen Gerätschaften und qualifiziertes Personal aufzukommen – das seien staatliche Aufgaben. Meyer: „Qualität kostet eben Geld, die einzigartige Luftrettung oder eine moderne Luftfederung in den Rettungswagen, das hat alles seinen Preis.“

*Name geändert