Das Demotape hat ausgedient

Bis vor einem Jahr war Tim Renner als Deutschlandchef für die Plattenfirma Universal Music tätig. Jetzt ist er wieder da, als Radiomacher, der zugleich den Download der Songs anbietet – und damit auch die Verkaufbarkeit von neuen Stücken testet

VON DIRK OBERLÄNDER

Der Mann liebt Inszenierungen. Die Kreuzberger Hinterhof-WG ist mit den typischen Accessoires ausgestattet: Müsli und Nescafé stehen stilecht neben Plastikgeschirr und bunten Ikea-Bechern. Im Esszimmer verkündet Tim Renner derweil gut gelaunt den Start seines neuen Radiosenders Motor FM um genau 18.48 Uhr. Das revolutionäre Zahlenspiel ist gewollt, schließlich soll der Sender den deutschen Musikmarkt kräftig aufmischen.

Die imaginäre WG hat ein eigenwilliges Klingelschild: „Wohngemeinschaft Deutschland“ ist darauf zu lesen, und das klingt nach nationaler Quotendiskussion und gewollter Provokation. So ganz gelungen ist diese PR-Strategie wohl nicht, denn Renner betont, die WG sei in jedem Fall weltoffen und international. Rund 50 Prozent des Programms wird mit in Deutschland produzierter Bands bestritten, die aber nicht zwangsläufig Deutsch singen müssen. Thematisch angelegte Sendungen wie etwa „Geräusche aus den 80ern“ werden produziert und anschließend in kleine Hörschnipsel zerlegt, die dann zu einem neuen Programm zusammengesetzt werden. Nachrichten fehlen ebenso wie lustige Morningshows. Tagsüber begleiten Moderatoren das Programm, abends übernimmt Kollege Computer.

Trotz freundlich revolutionärer Töne wird sich auch Motor FM finanzieren müssen. Schlüssel dazu ist das Internet. Jedes gespielte Lied soll bald als kostenpflichtiger Download im Netz zu haben sein und den Sender mit finanzieren. Dabei ist es egal, ob eine Band bereits einen Plattenvertrag besitzt oder noch gänzlich unbekannt ist. Schließlich bringt jeder verkaufte Song Geld, das zwischen den Künstlern und dem Sender geteilt wird. Bands können ihre Songs auch selbst auf den Server laden und hoffen, von Motor FM gespielt zu werden. Das Demotape hat ausgedient, Renner & Co. bekommen musikalisches Frischfleisch, ohne durch düstere Clubs tingeln zu müssen. Übertragen werden normale MP3-Dateien, ohne jeglichen Kopierschutz, denn der wäre nach Ansicht Renners sowieso zwecklos. Statt Musikliebhaber zu kriminalisieren, sollen sie belohnt werden. Wer Songs des Senders über seine eigene Homepage feil bietet, wird mit 20 Prozent am Gewinn beteiligt.

Natürlich ist auch die Idee, den Nachwuchs zu fördern, nicht vollkommen altruistisch. Künstler ohne Plattenvertrag können anhand der Downloads auf Verkaufbarkeit getestet werden – ein kostengünstiges Marketingtool. Bereits in der Testphase während der letzten Popkomm kamen zwei Bands zum erhofften Plattendeal, und auch Tim Renner räumt ein, sich bei jedem ungesignten Künstler zu überlegen, ihn bei seinem Label Motor unter Vertrag zu nehmen. So richtig hätte man sich den Exmanager auch nicht als Betreiber eines alternativen Internetradios vorstellen können.

Ob das allein reichen wird, ist fraglich, doch klassische Radiowerbung soll es nicht geben. „Wir wollen eure Werbung nicht“, hat Tim Renner mit revolutionärem Trotz den Mediaagenturen dieser Welt mitteilen lassen, und wie immer wird es für Werbetreibende ja erst dann richtig interessant, wenn man eigentlich draußen bleiben sollte. Statt schlichter Werbung gibt es nun also Medienpartnerschaften: Eine Sendung darf schon mal den Namen des Computerspielherstellers Atari enthalten oder ein großer Mobilfunkkonzern mit seinem rosa Soundsignet werben, allerdings von einer Punkband neu interpretiert, ein bisschen Underground muss schon sein. Auch an der umsatzstarken Klingeltonfront möchte man einen Fuß in der Tür haben. Sobald es technisch realisierbar ist, soll jeder aktuell laufende Song mit einem Knopfdruck auf dem Handy ertönen – „Sweety“ lässt grüßen.

Das Programm vom Motor FM kommt erfreulich unaufgeregt daher, wenig Jingles und kurze Moderation machen den Reiz aus. Newcomerbands werden in wenigen Sätzen präsentiert, zwischendurch melden sich Prominente mit Dreisatzschnippseln zu Wort, und die Rotation scheint erfreulich spärlich. Die Website erinnert derweil noch an das neue Sendestudio im Hinterhof, alles wirkt unaufgeräumt und improvisiert. Erst nach diversen Versuchen gelangt man zur Download-Sektion, auf der sich nur 13 Songs befinden. Auch Infos über die Bands oder Hinweise für Künstler, die ihre Lieder selbst vermarkten wollen fehlen. Fast schon suchen muss man den Link zum Livestream des Radiosenders.

Noch kann Motor FM die Berliner Frequenz 106,8 allein nutzen, doch ab Sommer wird der Sendeplatz geteilt. Tagsüber übernimmt dann der Kindersender Radio Teddy. „Märchen und Marilyn Manson“, bemerkt Tim Renner nicht ohne Augenzwinkern. Im Internet ist man natürlich weiterhin rund um die Uhr aktiv. Doch Renner gibt sich vieldeutig: „Vielleicht finden die Teddymacher unseren Sender ja so gut, dass wir länger allein senden können.“ Warten wir es ab.