Steglitzer stellen sich ins Abseits

Die Bezirksfraktionen von CDU und FDP in Steglitz propagieren ein frisiertes Geschichtsbild. Zum 8. Mai fordern sie eine Gedenkveranstaltung, die die Deutschen als Opfer in den Mittelpunkt rückt

VON WALTRAUD SCHWAB

Geschichtsklitterung? „Niemals!“, meint Norbert Kopp, der Fraktionsvorsitzende der Steglitzer CDU. Das liege seiner Partei nicht. Ganz richtig sieht er die Sache wohl nicht, denn mittlerweile fordert auch der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit die Steglitzer Kommunalpolitiker auf, einen Beschluss vom 19. Januar 2005 aufzuheben, in dem die Bezirksverordneten von CDU und FDP die Geschichte wie folgt erklären: „Der 8. Mai 1945 steht neben der Befreiung vom totalitaristischen Naziregime auch für den Schrecken und das Leid der Bevölkerung, den die Rote Armee von Ostpreußen bis nach Berlin zu verantworten hat.“ Deshalb sollte neben den Verfolgten und Ermordeten des Naziregimes „auch der Kriegsopfer, Flüchtlinge, Vertriebenen, geschändeten Frauen und der Opfer des sinnlosen Bombenkrieges“ gedacht werden. Mit solchen Formulierungen glauben die Bezirkspolitiker, die Geschichte zum Positiven wenden zu können.

Es hat eine Weile gedauert, bis dieser Beschluss wahrgenommen wurde und gesellschaftliche Institutionen und Parteien gegen das frisierte Geschichtsbild, das sich dahinter verbirgt, öffentlich protestieren. „Im Gegensatz zur historischen Wahrheit werden in diesem Beschluss der BVV die Deutschen wieder zu den eigentlichen Opfern stilisiert“, schreibt die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen, die als Erste auf die Anmaßung aus Steglitz reagierte. Inzwischen hagelt es Proteste von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, den Gewerkschaften, dem rot-roten Senat, den Grünen, der russischen Botschaft. Letztere erinnerte daran, dass die Rote Armee nicht auf eigene Initiative nach Deutschland gekommen ist.

Volker Ratzmann von den Grünen zog, wie andere Personen aus Politik und Gesellschaft auch, eine Gesinnungslinie zwischen der Steglitzer CDU/FDP und der NPD im sächsischen Landtag, deren geplanter Aufmarsch für den 8. Mai unter dem Motto steht „60 Jahre Befreiungslüge – Schluss mit dem Schuldkult“. Dagegen verwehrt man sich in CDU und FDP vehement und wirft Ratzmann umgekehrt vor, die Steglitzer auf infame Art in die braune Ecke zu drängen. Kopp, der Steglitzer CDU-Fraktionsvorsitzende, sieht sich gar schon selbst in der Rolle des Opfers. Er findet den Aufruhr überzogen, es habe was von einer Inszenierung, in der seine CDU an den Pranger gestellt werden solle. Nie hätte seine Partei „die Schuldsetzung in Frage gestellt“, er müsse nicht einsichtig sein.

Dass die Steglitzer CDU nicht einsichtig ist, ist bekannt. Bereits vor zehn Jahren wehrte sie sich mit den absurdesten Argumenten gegen die Spiegelwand, das Denkmal, mit dem an deportierte Steglitzer Juden und Jüdinnen erinnert wird. Damals hat der Senat das Verfahren an sich gezogen. Nur so konnte die Spiegelwand aufgestellt werden. Dieses Mal will der Senat nicht eingreifen, um die bezirkliche Autonomie nicht auszuhebeln, die, wie Michael Donnermeyer, der Sprecher Wowereits, sagt, „ein hohes demokratisches Gut ist“. Durch Druck der Öffentlichkeit und breite Diskussionen müssten die Steglitzer dazu gebracht werden, einzulenken.