Sind so spröde Früchte

Das Leid der Durchschnittsmänner: Alexander Paynes neuer Film „Sideways“ begleitet zwei Fortysomethings bei deren Reise durch kalifornische Weinberge

Die Gags haben leider weder die Überraschungskraft noch den Drive eines Billy Wilder, Hal Ashby oder Gene Saks

Sie sitzen im Auto. Draußen brütet Kalifornien in der Sonne. Rechts geht es vom Highway ab in die Weinberge. Es ist eine Junggesellentour; sieben gemeinsame Tage stehen Miles (Paul Giamatti) und Jack (Thomas Haden Church) bevor. Sieben Tage, an denen sie Jacks letzte Stunden in Freiheit vor dessen Hochzeit feiern wollen.

Viel Spaß werden die beiden in Alexander Paynes „Sideways“ trotzdem nicht zusammen haben. Denn es gibt wenig, worüber sie sich unterhalten könnten, wenig, was sie nach Jahren der Freundschaft nicht schon voneinander wüssten. Kaum auf der Autobahn, an der Peripherie von Los Angeles starrt Jack bereits schweigend vor sich hin, während Miles unentwegt über seine Liebe zu erlesenen Weinen redet. In seinem Monolog liegt einiges an unausgesprochener Verzweiflung über das, was im Leben alles schief läuft: Sein Job als Englischlehrer geht ihm auf die Nerven, die Trennung von seiner Frau macht ihm noch immer zu schaffen, und der Roman, den er geschrieben hat, ist ein monumentaler Wälzer, den kein Verlag drucken will. Doch all das weiß Jack ja schon längst. Deshalb wird er Miles nach einer Weile unterbrechen und ihm sagen, dass er die nächste Woche nicht unentwegt philosophieren, sondern möglichst oft flachgelegt werden will.

So unterschiedlich können Charaktere sein: Der eine interessiert sich für Rebstöcke, der andere für Frauen. Aber reicht dies als Grundgerüst aus, um darauf ein komödienhaftes Buddy-Movie aufzubauen? Nach Filmen wie „Citizen Ruth“ und „Election“ galt Payne als Gegenmodell zur Filmmaschine Hollywood. Der Regisseur verzichtete auf große Budgets und drehte lieber Charakterstudien, die in seiner Heimatstadt Omaha, Nebraska, spielten. 2002 wurde er mit „About Schmidt“, der Verfilmung des gleichnamigen Buchs von Louis Begley, international bekannt – immerhin konnte er Jack Nicholson für die Hauptrolle des grauen Büroangestellten Warren Schmidt gewinnen. Prompt erhielt Nicholson den Golden Globe. Entsprechend gab es nun für „Sideways“ enorme Vorschusslorbeeren, zumal man Paul Giamatti den frustrierten Lehrer zwischen lethargischem Weltschmerz und besserwisserischer Pedanterie jederzeit abnimmt. In den USA ist der Film in fünf Kategorien für einen Oscar nominiert.

Wirklich gerechtfertigt ist dieser Bonus allerdings nicht. Ohne Zweifel entwickelt sich „Sideways“ zu einer leicht im Alkoholrausch dahinschwebenden Geschichte: Die beiden Kumpel trinken sich bei Weinproben quer durch das Santa Ynez Valley; Miles zetert über ungenießbaren Merlot, und Jack bändelt mit der Frau hinter dem Tresen an, die er schon bald mit ins Hotelzimmer schleppt. Als Stephanie (Sandra Oh) erfährt, dass Jack sie nur benutzt, um sich seine Männlichkeit zu beweisen, bricht sie ihm das Nasenbein. Bei der nächsten Frau muss er splitternackt aus der Wohnung flüchten, weil ihr Ehemann zu früh von seiner Schicht nach Hause kommt.

Das sind Slapstick-Momente, in denen Payne für das ansonsten keusche Hollywood erstaunlich explizite Bilder produziert. Aber die Gags haben weder die Überraschungskraft noch den Drive eines Billy Wilder, Hal Ashby oder Gene Saks. Bei ihnen war Comedy vor allem ein Strudel, in den die Protagonisten eintauchen mussten, um gegen ihre eigene festgefügte Rolle im Geschehen zu opponieren. Jack Lemmons Tollpatschigkeit diente immer auch der Charakterfindung, bei Payne vollzieht Thomas Haden Church dagegen bloß ein paar ungelenke Gesten im Run auf den nächsten Geschlechtsakt. Das gibt seiner Figur eines abgehalfterten Serienstars aber nur den letzten Rest an Gewissheit über gescheiterte Existenzen in der Unterhaltungsbranche. Später wird auch Miles mit Maya (Virginia Madsen) eine ihm zugeneigte Kellnerin kennen lernen. Doch zum Sex kommt es dabei nicht, nur zu langen Gesprächen über die Beschaffenheit von Pinot-Trauben. Weil sie so eine dünne Haut haben, schwer anzubauen sind und anders als Cabernet viel Sorgfalt bei der Aufzucht brauchen. Nachdem Miles also im Bild der spröde reifenden Frucht sein eigenes Leben preisgegeben hat, ist Maya an der Reihe. Sie kommentiert ihre Liebe zum Wein eher aus dem Bauch raus: „Because it tastes so fucking good“.

Natürlich werden sich Maya und Miles am Ende kriegen, natürlich wird Jack nach seinem Ritt durch fremde Betten seine Liebste daheim zum Altar führen. Mit dieser Erwartbarkeit will Payne auch gar nicht brechen, geht es ihm doch in „Sideways“ darum, zu zeigen, wie wenig sich amerikanische Mittelschichts-Fortysomethings aus ihrem vorbestimmten sozialen Gefüge lösen können. Wenn sie doch einmal über die Stränge schlagen, gehen Weinkrüge kaputt oder ein Nasenbeinknochen.

Mit dieser vorgeblich humanistischen Sicht auf den Durchschnittsmann macht es sich Payne in „Sideways“ dennoch viel zu leicht. Hier handelt jeder nur innerhalb seines beschränkten Rahmens, als Abziehbildchen eines konformen Lebenswandels, in der Hoffnung auf ein Abenteuer, das nur funktioniert, weil die Hemmschwellen so niedrig sind. Deshalb kann Miles auch von James Joyce als Vorbild schwärmen, wenn er über seinen eigenen Roman spricht. Das Ungewisse interessiert ihn nicht.

HARALD FRICKE

„Sideways“. Regie: Alexander Payne. Mit Paul Giamatti, Thomas Haden Church, Virginia Madsen u. a. USA 2004, 124 Min.