Traditionen weichen auf

Ein Jahr lang arbeitete das junge Theater an der Ruhr zusammen mit dem kurdischen Schauspieler Ferhade Faqi an dem Stück „Das türkisch Hochzeit“. Jetzt hatten die neun Jugendlichen ihre Premiere

VON PETER ORTMANN

Als klar wird, dass die Braut keine Jungfrau mehr ist, bricht der Tumult los. Die alte Tante des Bräutigams prügelt hemmungslos auf alle ein und will sich anschließend nur noch besaufen. Die türkische Hochzeitsgemeinde versinkt im Chaos.

Ein Jahr lang hat sich am Mülheimer Theater an der Ruhr eine Gruppe türkischer und russischer Jugendlicher mit Traditionen und ihren Auswirkungen auf die Kinder der dritten und vierten Generation der ehemaligen Gastarbeiter beschäftigt. Unter der Leitung des kurdischen Schauspielers Ferhade Feqi (Ein Bericht für eine Akademie) erarbeiteten sie „Das türkisch Hochzeit“, ein Text, der auf Improvisationen und auf drei Geschichten von Feridun Zaimoglu basiert.

Spielerisch beginnt die Handlung in türkisch-deutschem Kauderwelsch, das weder die einen noch die anderen richtig verstehen. Gesucht wird erst einmal ein Bräutigam. Keiner von den Jungs (Ey du, Hochzeit is scheisse) will so richtig. Özgür kann von seinen Kumpanen endlich und leicht handgreiflich überredet werden. Dummerweise sucht er sich dafür die junge Russin (Anna Jakovlev) als Braut aus, die fürs Spiel einwilligt, aber von den türkischen Bräuchen keine Ahnung hat. Schnell sind die langen Tische auf der Bühne für das Fest geschmückt – Verwandte, aber auch Zuschauer durften dort Platz nehmen.

Bis zum Jungfrauen-Outing läuft alles regelgerecht ab, ein Tänzchen, etwas Leckeres zu Essen (quietschende Gummi-Hähnchen), das übliche Statement der Brauteltern. Dann kommt der Alkohol ins Spiel und löst die Zungen. Hinter der Schein-Fassade der traditionellen Feier lauern die Konflikte. Die Emigrantenkinder pendeln zwischen zwei Welten, deren Mixtur zu gefährlichen Problemen führt. Ufuk und Mesut überfallen im Drogenrausch aus Langeweile mit einer Spielzeugpistole eine Spielhalle, erbeuten 130 Euro. Ihr Freund Ertan hat sich bereits den goldenen Schuss gesetzt, er kam mit der Gesellschaft nicht zurecht. Sein letztes Statement von der Kassette zerstört den letzten Rest der aufgesetzten Fröhlichkeit zu einer Musik, die selbst eine Mischung aus westlichem Drum `n Bass und traditionellen Klängen geworden ist.

„Es ist wichtig, dass junge Menschen die Bühnen erobern und sich dort ihre Problem erspielen“, sagte Roberto Ciulli vor der Premiere. Gerade Ferhade Feqi sei es zu verdanken, dass die Gruppe so lange zusammen geblieben ist und ihr Stück dann realisieren konnte. Für die Zuschauer ist es ein Ritt zwischen bauchfelltraktierendem Gelächter und stiller Fassungslosigkeit. Dass einige Teile in türkischer Sprache gespielt wurden, macht die Dramaturgie nicht unverstehbar – verstehen geht eben auch übers Visuelle. Die jungen Schauspieler, insbesondere Ebru Tarlatasi als alte Tante, spielen was die Blümchenschürze hergab. Man konnte ihren Spaß an der Darstellerei förmlich greifen.

Oft karikierten sie die Bräuche und Traditionen ihrer Großeltern so, dass sie fast grotesk erschienen. Doch ob es wirklich nur eine Scheinwelt ist, in der sie zu Hause leben, das konnte das Stück nicht beantworten.

Infos: 0208-5990131