Der Fahrersitz wird zum heißen Stuhl

Zwar nimmt die Zahl der Übergriffe auf BusfahrerInnen nicht zu. Aber seit einem Jahr werden Angriffe laut BVG brutaler und spontaner. Die Fahrer setzten auf Camouflage beim Weg zur Arbeit. Die BVG setzt auf elektronische Abschreckung

Jugendliche haben Mitte Januar in Neukölln einen 53-jährigen Busfahrer krankenhausreif geschlagen. Sie prügelten außerdem auf zwei Fahrgäste ein, die helfen wollten. Auch wenn solch brutale Angriffe die Ausnahme sind, wird der FahrerInnen-Sitz regelmäßig zum heißen Stuhl: „Wir zählen zwischen 130 und 180 Übergriffe im Jahr, bei denen Mitarbeiter verletzt werden“, sagt BVG-Betriebsvorstand Thomas Necker. Rund die Hälfte trifft KontrolleurInnen, die andere richtet sich aber gegen BusfahrerInnen. Die absolute Zahl der Angriffe bleibe gleich, sagt Necker. „Doch seit einem Jahr werden die Aggressionen spontaner und die Verletzungen schwerer. Manche Leute steigen ein und schlagen sofort zu.“

Unter den FahrerInnen macht sich Verunsicherung breit. „Die Mehrzahl der Kollegen hat Angst“, sagt Personalratschef Uwe Nitzgen. Viele würden auf dem Hin- und Rückweg zu den Dienststellen normale Jacken über die BVG-Uniform ziehen, um Pöbeleien zu vermeiden. Die Verkehrsbetriebe reagieren auch in den Dienstplänen auf das Problem: „Wir schicken keine Busfahrerin um Mitternacht nach Neukölln“, sagt Vorstand Necker.

Die BVG beobachtet aber nicht, dass es auf bestimmten Linien oder zu bestimmten Zeiten besonders oft knallt: „Auch häufige Tätergruppen machen wir nicht aus“, sagt Necker. „Das zieht sich quer durch.“ Die gesellschaftliche Analyse der Ursachen steigender Aggressivität liegt der BVG jedoch fern – die Überlegung zum Beispiel, was stetig steigende Ticketpreise in einer verarmenden Stadt bewirken. Vorstand Necker wünscht sich indes eine härtere Strafverfolgung: „Vandalismus wird zum Beispiel seitens der Staatsanwaltschaft sehr lasch gehandhabt.“ Personalrat Nitzgen fehlt „ein gesellschaftlicher Konsens, dass so etwas geächtet gehört“.

Drei SozialarbeiterInnen einer BVG-eigenen Beratungsstelle betreuen KollegInnen, die im Dienst traumatische Erlebnisse hatten – dazu gehören Selbsttötungen, Unfälle, aber auch gewalttätige Angriffe. „In der Regel befahren die Kollegen erst mal nicht mehr die Linie, auf der es passiert ist“, sagt Sozialarbeiterin Karin Müßig. Dass jemand nach einer Tätlichkeit komplett aus dem Fahrdienst genommen werden müsse, sei relativ selten. Dennoch geht angegriffenen FahrerInnen das Geschehen lange nach: Schlafstörungen sind häufig, viele können sich nur schwer wieder auf den Verkehr konzentrieren, weil Bilder aus der Erinnerung hochkommen.

Um es so weit nicht kommen zu lassen, setzt die BVG auf elektronische Abschreckung – und hat Busse mit Kameras ausgerüstet. Im Cockpit haben FahrerInnen zwei Möglichkeiten, wenn eine Situation zu entgleisen droht: Per Prioritätsruf erreichen sie direkt die Leitstelle, die die Polizei informiert. Zudem gibt es einen Alarmknopf. Einmal gedrückt, schaltet er Hupe, Warnblinker und Scheinwerfer ein, um Passanten aufmerksam zu machen. ULRICH SCHULTE